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Afghanistan Flagge KönigreichAfghanistan - das Scheitern von drei Weltmächten

Drei Weltmächte haben versucht, Afghanistan zu beherrschen: Im 19. Jahrhundert war es Spielball im „Great Game” zwischen den Briten und den Russen. In den 1980er-Jahren versuchten die Sowjets, dort den Kommunismus zu retten. Und vor 20 Jahren besetzten US-geführte NATO-Truppen das Land, um Osama Bin Laden zu jagen. Und alle scheiterten.

Um das Scheitern der Weltmächte in Afghanistan zu verstehen, muß man sich mit den historischen, geografischen und ethnischen Gegebenheiten befassen. Sie behinderten seit dem Beginn 1747 die Herausbildung einer wirksamen Zentralgewalt (Staatenbildung) und die Entstehung einer afghanischen Nation („nation-building”). Clan, Dorf und Stamm sind die Zentren der Loyalität, der Bezug zu einem Afghanistan findet sich nur in den urbanen Zentren bei den westlich orientierten Eliten.

3000 v.Chr. bis 1747 n.Chr.: Fremde Reiche

Obwohl mehrere Reiche auf afghanischem Boden entstehen, bleibt Afghanistan - von der Dynastie der Ghoriden einmal abgesehen - der Herrschaft fremder Völker unterworfen. Afghanische Geschichte erscheint nur als Teil griechischer, persischer oder indischer Geschichte.
Durch seine geopolitische Lage bedingt ist jenes Gebiet, das geographisch als „Ariana” und später als „Khorassan” auftritt, Eroberungen und damit Fremdeinflüssen in einem besonderen Ausmaß ausgeliefert. Im Schnittpunkt des vorderasiatischen, zentralasiatischen und indischen Raumes liegend bildet Afghanistan seit den ältesten Zeiten die Einfallspforte nach Indien. Denn während der indische Subkontinent im Norden durch die Gebirgketten des Himalaya, des Karakorum und durch das Hochland von Tibet hinlänglich vor den Einfällen der kriegerischen Nomadenstämme Zentralasiens geschützt war, trennten im Nordwesten lediglich die zentralen Gebirgsketten Afghanistans mit ihren bis zu 3500 m hohen Pässen die fruchtbaren indischen Tiefebenen von den zentralasiatischen Steppen und Völkern. Sie stellten für die Kriegszüge und Völkerbewegungen in Richtung Indien ebensowenig ein unüberwindbares Hindernis dar wie für die in beide Richtungen verlaufenden kulturellen Einflüsse.

„Über die afghanischen Pässe wurden der Buddhismus nach Zentralasien und China, der Islam nach Indien verpflanzt, und zuzeiten verliefen über jene Pässe die wichtigsten Handelswege Asiens von Vorderasien nach Indien und China. Der bedeutendste Ast der sagenumworbenen Seidenstraße führte durch Nordafghanistan, wo in Baktra, dem heutigen Balch, der Handelsweg nach Indien abzweigte. Im 13. Jh. zog Marco Polo auf seinem Weg nach China durch jene Gebiete.” (Max KLIMBURG)

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war Afghanistan zwischen den persischen Safawiden und den indischen Großmoghuln aufgeteilt, die Grenze der Einflußgebiete verlief etwa bei Kandahar, das die Safawiden 1649 den Großmoghuln entrissen hatten.
Die Erhebung der paschtunischen Stämme der Ghilzai unter Mir Wais (1709) im Raum Kandahar und der Abdali unter Abdullah Khan (1716) im Raum Herat sind erste Ansätze paschtunisch-afghanischer Reichsgründungen, denen aber noch kein dauerhafter Erfolg beschieden war. Aber sie waren die Basis der erfolgreichen und dauerhaften Reichsgründung von 1747; und seit diesem Zeitraum war es auch keiner Fremdherrschaft mehr möglich, sich Afghanistan auf Dauer zu unterwerfen.

1747 - Das Reich Afghanistan

Der endgültige Durchbruch gelang 1747. Nach der Ermordung von Nadir Shah Afschar (1688 | 1736 - 1747), Shah von Persien, in Mesched flüchtete Ahmad Shah Durrani (ca. 1722-1772) mit seinen 4.000 Reitern, der Leibwache Nadir Shahs. Er nahm einen Großteil des königlichen Schatzes in Richtung Kandahar mit. Darunter befand sich auch der berühmte Koh-i-Noor Diamant, der 1849 in die Hände der Briten fiel, Queen Victoria geschenkt wurde und heute Teil der britischen Kronjuwelen ist.
In der Nähe der Stadt wurde Nadir Shah in einer Stammesversammlung der Abdali und Ghilzai zum obersten Stammesführer gewählt. Der Legende nach krönte ihn ein angesehener Heiliger mit einem Ährenkranz und titulierte ihn als „Durr-e Dauran” („Perle der Zeitalter”). Diese Titel soll Ahmad Shah in „Durr-e Durran” („Perle der Perlen”) abgeändert haben, weshalb die Abdali seither den Namen Durrani führen. Mountstuart ELPHINSTONE hingegen weiß nichts von einer Wahl. Ahmed Shah soll vielmehr mit starken militärischen Kräften Kandahar eingenommen, seine Widersacher hingerichtet und sich selbst zum Herrscher ausgerufen haben.

Das Reich von Ahmad Shah Durrani
Afghanistan und das Reich von Ahmad Shah Durrani
Quelle: Wikipedia (PD)

In den 25 Jahren seiner Herrschaft gelang es Ahmad Shah, das Erbe Nader Shahs anzutreten und ein GroßreichReich meint die Beherrschung einer ausgedehnten Zahl von Städten, ihres Umlandes und der Verbindungsstraßen mit militärischer Hilfe (Karl-Heinz Golzio). zu errichten, das von Delhi im Osten bis Mashad im Westen, vom Amu-Darya im Norden bis zum Arabischen Meer im Süden reichte und dessen Zentrum - mit Kandahar als Hauptstadt - im heutigen Afghanistan lag. Es war ein Reich, dessen einzelne Bestandteile immer wieder mit militärischer Gewalt an ihre Zugehörigkeit erinnert werden mußten. Zu diesem Zweck verfügte Ahmad Shah über ein stehendes Heer von ca. 100.000 Mann, von denen allerdings 2/3 irreguläre Truppen waren, die sich aus den Stämmen rekrutierten und deren Loyalitäten mit Beuteanteilen gesichert werden mußten. In den unterworfenen Gebieten gab es keine direkte Verwaltung, sondern es wurden nur Militärlager an einigen zentralen Orten errichtet und ansonsten die einheimische Oberschicht in ihren Positionen belassen. Eine institutionelle Absicherung gelang nicht, Herrschaftsausübung erfolgte nur in Gegenwart der königlichen Truppen. Zogen diese ab, fühlten sich die lokalen Herrscher wieder unabhängig.

Unter seinen Nachfolgern zerfällt das Reich in seine Bestandteile: Die Barakzai und Saddozai errichten eigene unabhängige Herrschaftszentren in Herat, Kandahar und Kabul; die Uzbeken und Badakhshaner im Norden gewinnen ihre Autonomie fast vollständig wieder; im Pandjab entsteht das Reich der Sikhs; die indischen Besitzungen gehen endgültig verloren. Die nächsten 80 Jahre afghanischer Geschichte sind gekennzeichnet durch die Segmentationsbestrebungen der regionalen und lokalen Stammesführer sowie durch den blutigen Machtkampf innerhalb der königlichen Familie.
Aber auch die Weltgeschichte greift wieder nach Afghanistan und zieht es in den Strudel kolonialer Auseinandersetzungen: im Norden beginnt der russische Vormarsch auf Zentralasien, im Süden breitet sich England in Indien aus. Es erscheint nur als eine Frage der Zeit, bis das politisch segmentierte, ethnisch und religiös heterogene Afghanistan zwischen diesen Mühlsteinen zerrieben und in einzelne Interessensphären aufgeteilt wird.

1809-1919: Afghanistan und Britisch-Indien

Napoleons Invasion in Ägypten 1798 führte zum ersten Kontakt zwischen Afghanistan und Britisch-Indien. Sein Ziel, den französischen Einfluß in Indien wiederherzustellen, und seine Kontakte mit dem persischen Herrscher, Fath Ali Shah, beunruhigten England. Sie sandten daher 1809 Mountstuart ElphinstoneSein Bericht über diese Reise - „ An Account of the Kingdom of Caubul and its Dependencies in Persia, Tartary and India.” London 1815 („Geschichte der Englischen Gesandtschaft an den Hof von Kabul, im Jahre 1808, nebst ausführlichen Nachrichten über das Königreich Kabul, den dazu gehörigen Ländern und Völkerschaften.” Weimar 1817) - ist ein Standardwerk über die Geschichte und die soziale und ethnische Struktur Afghanistans. an den Hof von Shah Shudja (1780-1842) in Peschawar, der Winter-Residenz afghanischer Herrscher. Shah Shudja, damals nicht viel mehr als der Emir von Kabul, unterzeichnete einen Verteidigungs- und Freundschaftspakt. Napoleons Pläne zerrinnen 1815 in Waterloo, seinen Platz als imperialistischer Konkurent Englands in Asien übernimmt das zaristische Rußland, das seit Peter dem Großen (1682-1725) einen Hafen in einem warmen Meer - Dardanellen, Persischer Golf, Indischer Ozean - anstrebt.
Dieser - vermeintlichen oder tatsächlichen - Bedrohung ihrer Interessen in Indien setzen die Engländer die sog. forward policy entgegen, zunächst konzipiert von Außenminister Lord Palmerston mit Unterstützung des britischen General-Gouverneurs in Indien, Lord Auckland. 1874 führten der britische Premierminister Benjamin Disraeli (später Earl Beaconsfield) und der britische Vizekönig in Indien, Lord Lytton, fort. Afghanistan wurde demnach als Grenze Indiens angesehen, und es sollte keiner europäischen Macht erlaubt sein, dort wirtschaftliche oder politische Aktivitäten zu setzen oder in irgendeiner Form in die afghanischen Angelegenheiten einzugreifen. Zwei Mal streckten die Russen ihre Fühler nach Afghanistan aus, und beide Male provozierten sie damit das Eingreifen Englands - die anglo-afghanischen Kriege.

Erster anglo-afghanischer Krieg

Im 1. anglo-afghanischen Krieg (1839-1842) mußten die Briten im Januar 1842 ihre Besatzungsarmee aus Kabul zurückziehen. Die Armee - insgesamt 16.500 Mann, davon 4.500 Soldaten (690 Europäer, 3810 indische Sepoys), die übrigen 12.000 waren Familienangehörige oder gehörten zum Troß - wurde bis auf einen Europäer (Dr. William Brydon) und einige Inder in den Bergen zwischen Kabul und Jalalabad aufgerieben. Theodor Fontane verfasste dazu sein berühmtes Gedicht „Das Trauerspiel von Afghanistan”Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,/ Ein Reiter vor Dschellalabad hält,/ „Wer da!“ – „Ein britischer Reitersmann,/ Bringe Botschaft aus Afghanistan.“
Afghanistan! er sprach es so matt;/ Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,/ Sir Robert Sale, der Commandant,/ Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.
Sie führen in’s steinerne Wachthaus ihn,/ Sie setzen ihn nieder an den Kamin,/ Wie wärmt ihn das Feuer, wie labt ihn das Licht,/ Er athmet hoch auf und dankt und spricht:
„Wir waren dreizehntausend Mann,/ Von Cabul unser Zug begann,/ Soldaten, Führer, Weib und Kind,/ Erstarrt, erschlagen, verrathen sind.
Zersprengt ist unser ganzes Heer,/ Was lebt, irrt draußen in Nacht umher,/ Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,/ Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt.“
Sir Robert stieg auf den Festungswall,/ Offiziere, Soldaten folgten ihm all’,/ Sir Robert sprach: „Der Schnee fällt dicht,/ Die uns suchen, sie können uns finden nicht.
„Sie irren wie Blinde und sind uns so nah,/ So laßt sie’s hören, daß wir da,/ Stimmt an ein Lied von Heimath und Haus,/ Trompeter, blas’t in die Nacht hinaus!“
Da huben sie an und sie wurden’s nicht müd’,/ Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,/ Erst englische Lieder mit fröhlichem Klang,/ Dann Hochlandslieder wie Klagegesang.
Sie bliesen die Nacht und über den Tag,/ Laut, wie nur die Liebe rufen mag,/ Sie bliesen – es kam die zweite Nacht,/ Umsonst, daß ihr ruft, umsonst, daß ihr wacht.
Die hören sollen, sie hören nicht mehr,/ Vernichtet ist das ganze Heer,/ Mit dreizehntausend der Zug begann,/ Einer kam heim aus Afghanistan.
, das mit den Zeilen endet: „Mit dreizehntausend der Zug begann,/ einer kam heim aus Afghanistan.”

Remnants of an Army, Gemälde von Elizabeth Butler
William Brydon, der einzige Überlebende von 15.500 Zivilisten und Soldaten, erreicht Dschalalabad im Januar 1842
Quelle: Wikipedia (PD)

Dies war für das britische Empire die verlustreichste Niederlage seiner Kolonialgeschichte, die Briten verloren ihren Nimbus der Unbesiegbarkeit. Als Vergeltung nahmen britische Truppen im September 1842 Kabul ein und zerstörten den Bazar und den östlich von Kabul gelegenen Ort Istalif. Damit war allerdings das Problem, Afghanistan unter Kontrolle zu halten, die Besatzung wegen der hohen Kosten aber abziehen zu wollen, keineswegs gelöst. Nach einem Regierungswechsel in London setzten die Briten Dost Mohammed (1793-1863), den ursprünglichen Auslöser des Krieges, als Emir ein. Im Abkommen von Peschawar 1855 wurde der Frieden zwischen beiden Ländern festgeschrieben, die Einmischung der East Indian Company in Afghanistan beendet, sämtliche Ansprüche auf Belutschistan und Sindh an die Briten abgetreten.

Zweiter anglo-afghanischer Krieg

Rückzug der Royal Horse Artillery aus der Schlacht von Maiwand
Die Royal Horse Artillery zieht sich aus der Schlacht von Maiwand (2. anglo-afghanischer Krieg) zurück
Quelle: Wikipedia (PD)

Im 2. anglo-afghanischen Krieg (1878-1880) unterlagen die Briten unter Brigadier G. R. S. Burrows am 27. Juli 1880 in offener Feldschlacht bei Maiwand in der Nähe von Kandahar einem afghanischen Heer unter Mohammad Ayub Khan, dem fünften Sohn des Emirs Sher Ali. Es war eine der seltenen Niederlagen einer britischen Armee in einer offenen Feldschlacht im 19. Jahrhundert. Von den 2.476 Soldaten wurden 971 getötet und 168 verwundet.
Dieses afghanische Heer wurde allerdings im August von General-Leutnant Sir Frederick Roberts geschlagen. Roberts wurde für seine Verdienste zum Earl of Kandahar erhoben; das bekannte Kandahar-Schirennen geht auf seinen Sohn zurück.
Afghanistan wurde zum britischen Protektorat (Beschränkung oder Aufhebung der aussenpolitischen Handlungsfähigkeit des protegierten Staates, Erhaltung seiner Selbstregierung im Inneren und Schutz des Protektors über den Protegierten gegen Angriffe von Aussen) und Pufferstaat zwischen Rußland und Britisch-Indien. Die Beziehungen zwischen den Afghanen und den Engländern - und damit gleichzeitig die weitere Entwicklung Afghanistans - wurden 1879 im Vertrag von Gandomak (= Gandamak) festgelegt:

  • Sicherung der territorialen und politischen Einheit Afghanistans (bei endgültigem Verlust der indischen Besitzungen und vor allem Peschawars);
  • Wahrnehmung der Außenpolitik durch Großbritannien;
  • britische Finanz- uund Waffenhilfe (jährlich £ 60.000) für den König zur Sicherung seiner Herrschaft und zum Ausbau der Zentralgewalt

Zunächst jedoch erlebten die Briten mit diesem Abkommen und ihrem Schützling Yakub Khan (1879-80), dem Sohn Sher Ali's, beinahe dasselbe Desaster wie im 1. anglo-afghanischen Krieg: der Emir verlor alle Loyalitäten, die britische Gesandtschaft in Kabul unter Sir Louis Cavagnari wurde ermordet, die Briten besetzten Kabul und sahen sich im Winter 1879/80 - wie schon 1841/42 - der Belagerung ihres Militärlagers durch die lokalen Würdenträger und Stammesführer gegenüber. Dieser Widerstand zerbröckelte jedoch im Frühjahr, als Abdur Rahman (1844|1880-1901), ein Enkel von Mohammad Dost, aus seinem russischen Exil nach Afghanistan zurückkehrte und sich Truppen und Hilfsmittel sichern konnte. Die Briten unterstützten seinen Anspruch auf den afghanischen Thron, im Juli 1880 konnte er in Kabul einziehen. Die Briten verließen Kabul im August und räumten ihren letzten Stützpunkt, Kandahar, im April 1881.

Versuch der Staatenbildung

Die Isolierung Afghanistan als britischem Protektorat nach außen wurde von Abdur Rahman durchaus gewünscht und gefördert. Sie trug zur Stärkung des Islam als einer über ethnische und sprachliche Barrieren hinausgehenden integrativen Kraft und zur Festigung - wenn nicht überhaupt erst zur Entstehung - eines paschtunischen - nicht afghanischen! - Nationalbewußtseins bei. Allerdings war dieses Bewußtsein selbst in der Situation der Bedrohung - und ist es auch heute nicht - nie stark genug, die darunterliegenden Stammes- und Clanrivalitäten dauerhaft zu überwinden.
Abdur Rahman, der „eiserne” Emir, entwickelte in seiner 20-jährigen Herrschaft aus der Pufferzone Afghanistan, charakterisiert durch ein zentrifugales und undurchsichtiges Machtgeflecht, einen straff organisierten Staat Afghanistan. Dazu errichtete er eine repressive Herrschaft mit einem dichten Spitzelwesen, in der jede Opposition unterdrückt wurde.
Wesentlicher Grundstein für die Staatswerdung war die Festlegung definierter Grenzen. 1887 steckte eine russisch-britische Grenzkommission die afghanische Nordgrenze ab. 1893 erhielt Afghanistan im Pamir-Abkommen den Wakhan-Korridor, eine 57 Kilometer lange Grenze zu China, womit es seiner Funktion als Puffer zwischen Russland und Britisch-Indien gerecht wurde. 1895 wurde der Amu Darya als Staatsgrenze zwischen dem russischen Protektorat Bukhara und den Nordosten Afghanistans festegelegt. Für die Zukunft problematischer war der Durand-Vertrag vom 12. November 1893 zwischen Britisch-Indien und Afghanistan.

Durand-Linie, Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan
Durand-Linie, Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan
Quelle: Wikipedia/Weaveravel - Eigenes Werk, (CC BY-SA 4.0)

Die Linie wurde vom damaligen Außenminister der indischen Verwaltung, Henry Mortimer Durand (1850-1924), mit Abdur Rahman ausgehandelt. Unklar bleibt, ob der Emir die Linie als Grenze politischer Verantwortlichkeit oder internationaler Gültigkeit verstand. Die Linie zerschneidet im Nordost Kafiristan (heute Nuristan), weiter südlich die Stammesgebiete der Paschtunen und im Südwesten die der Belutschen. Die Durand-Linie ist die Wurzel der sogenannten Paschtunistan-Frage, die vor allem von afghanischer Seite immer wieder thematisiert wird. Afghanistan fühlt sich für die Paschtunen in Pakistan zuständig, die allerdings die afghanische Oberhoheit ebenso ablehnen wie die pakistanische. Die Stämme im Grenzgebiet sind für beide Seiten nicht kontrollierbar. Abdur Rahman halste durch seinen Verzicht auf die nominelle Oberhoheit über einen Teil jener Stämme, die sich seiner faktischen Oberhoheit ohnehin widersetzten, mit den daraus resultierenden Schwierigkeiten den Engländern auf.
Unter seiner Herrschaft stagnierte das Land wirtschaftlich und sozial. Abdur Rahman, der in seiner Regierungszeit mehr als 40 Aufstände niederschlug, lag nur an der Konsolidierung seiner Macht und der Zentralgewalt, die er durch eine Modernisierung des Militär- und Polizeiwesens und durch die Verstaatlichung der Steuereintreibung erreichen wollte.

Habibullah Khan (1872|1901-1919), der Sohn von Abdur Rahman, konnte nach dessen Tod den Thron ohne die üblichen Streitigkeiten besteigen - auch, weil sein Vater ihn schon zu Lebzeiten als seinen Nachfolger und Stellvertreter eingebunden hatte. Als relativ weltoffener und reformfreudiger Herrscher versuchte er, das Land zu modernisieren und damit einen Wunsch seines Vater umzusetzen.

„I hope and pray that if I do not succeed in my lifetime in the great desire for making railways, introducing telegraphs and steamers, working the mines, opening banks, issuing banknotes, inviting travellers and capitalists from all parts of the world, opening universities and other institutions in Afghanistan, my sons and successors will carry out these desires of my heart and make Afghanistan what I desire it to become.” (Abdur Rahman Khan, The Life of Abdur Rahman, Amir of Afghanistan; ed. by Sultan Mahomed Khan, 2 vols., London 1900)

Habibullah führte nicht den von vielen Afghanen geforderten Befreiungskrieg gegen England, sondern unterzeichnete 1905 einen Friedensvertrag und erlaubte, eine britische diplomatische Vertretung in Kabul einzurichten - allerdings von einem indischen Beamten geführt. Im Ersten Weltkrieg blieb Afghanistan strikt neutral, trotz der Avancen des osmanischen Kalifen und der deutschen Niedermayer-Hentig-ExpeditionDie deutsche Mission unter Oskar von Niedermayer und Werner Otto von Hentig wollte Afghanistan an der Seite der Mittelmächte in den Krieg ziehen. Sie erreichte Kabul im September 1915 und bot Geld und Waffenlieferungen. Der Emir verhielt sich ausweichend, versicherte aber dem britischen Gesandten seine Neutralität. Die Mission war zwar gescheitert und verließ Afghanistan im Mai 1916. Aber sie markiert den Beginn der diplomatischen Beziehungen zwischen Afghanistan und Deutschland. Von Henting war der erste diplomatische Vertreter des Deutschen Reichs..

Dritter anglo-afghanischer Krieg

Habibullah wurde am 12. Februar 1919 bei einem Jagdausflug unter ungeklärten Umständen ermordet. Sein dritter Sohn Amanullah Khan (1892-1960|1919-1929) setzte sich gegen den eigentlichen Thronfolger, seinen Onkel Nasrullah Khan sowie seinen Bruder Inayatullah Khan durch und eroberte den Thron. Er gilt als Hauptverdächtiger der Ermordung seines Vaters.
Um von dem Verdacht abzulenken erklärte er am 3. Mai 1919 England den Krieg und löste den 3. anglo-afghanischen Krieg (1919) aus. Das afghanische Militär war zwar unfähig, die Briten herauszufordern. Aber die Briten waren kriegsmüde und beendeten den Krieg nach der Bombardierung des Königspalastes in Kabul am 3. August mit dem Frieden von Rawalpindi. Darin anerkannte Großbritannien die volle staatliche Souveränität Afghanistans. Im Gegenzug akzeptierte Afghanistan die Durand-Linie als Grenze und somit den Verlust ehemaliger Landesteile an Britisch-Indien.

Die Briten haben zwar in Afghanistan bedeutende militärische Niederlagen hinnehmen müssen, aber am Ende ihr Ziel erreicht: Afghanistan wurde zum Protektorat, zum Puffer zwischen Britisch-Indien und Rußland. Dessen Expansionsbestrebungen konnten niedergehalten werden. Im Ersten Weltkrieg blieb Afghanistan neutral und damit auf der Seite der Entente. Das Scheitern der Briten ist eher relativ.

1919-1946: Der Beginn des modernen Afghanistans

Amanullah

Amanullah, 1919 bis 1926 Emir und von 1926 bis 1929 König von Afghanistan, verfolgte ein umstrittenes, weitreichendes Reform- und Modernisierungsprogramm, mit dem er das moderne Afghanistan begründete. Er stand den Ideen der Jungafghanen nahe und erließ am 10. April 1933 eine konstitutionelle Verfassung nach dem Modell der laizistischen Türkei unter Mustafa Kemal Atatürk. Damit legitimierte Amanullah seine Herrschaft nicht mehr durch den göttlichen Willen oder seine Abstammung, sondern durch den Willen des afghanischen Volkes. Er selbst bezeichnete sich nicht mehr als Emir, sondern als pade schah (König). Die Einführung der Schulpflicht auch für Mädchen und die Gleichstellung der Religionen mit dem sunnitischen Islam führten zu Rebellionen paschtunischer Stämme in Südostafghanistan, die die Verfassung als unislamisch betrachteten. Auch die Idee einer Staatsangehörigkeit stand der partikularistischen Gesellschaftsorganisation mit Stammes- und Klientelzugehörigkeit entgegen.

Amanullah in Deutschland
König Amanullah Khan zusammen mit Reichspräsident Hindenburg in Berlin 1928
Quelle: Wikipedia/Bundesarchiv, Bild 102-05493 (CC-BY-SA 3.0)

Seine Europareise 1927/28, bei der er angeblich Alkohol und Schweinefleisch zu sich nahm und seine Frau Soraya unverschleiert auftrat, läutete das Ende seiner Herrschaft ein. Als 1928 auf der loya jirga (Stammesversammlung) das Tragen westlicher Kleidung angeordnet, Schulpflicht und Wehrdienst eingeführt, die Trennung von Staat und Religion vollzogen und Schleier, Polygamie und die Wegschließung von Frauen (purdah) abgeschafft werden sollten, kam es 1929 zur Erhebung paschtunischer Stämme. Besonders die Änderung der gesellschaftlichen Stellung der Frau stellte die Werte der Gesellschaftsordnung grundlegend in Frage - woran sich bis heute bei den Taliban nichts geändert hat.
Aufstände der paschtunischen Stämme ließen nicht lange auf sich warten und breiteten sich in den paschtunischen Stammesgebieten aus. Die Machtbasis des Staates war zu gering, um sie unterdrücken zu können. Die Briten errichteten zwischen Kabul und Peschawar die erste Luftbrücke der Geschichte und flogen in 86 Flügen fast 600 Europäer aus. Der Tadschike Habibullah Kalkani, genannt Bacha-ye-Saqqao (Sohn des Wasserträgers), der seine Anhängerschaft im Umland nördlich Kabuls hatte, vertrieb Amanullah und ließ sich am 16. Januar 1929 als Habibullah II. zum Emir von Afghanistan krönen. Damit war erstmals seit 200 Jahren ein Nicht-Paschtune Herrscher von Afghanistan. Verfassung und Erlässe nahm er zurück. Amanullah gab seine Versuche, von Kandahar aus die Herrschaft wiederzugewinnen, im Mai 1929 auf und begab sich ins Exil nach Rom, wo er 1960 starb. Mit der Flucht Amanullahs brach jedoch auch die breite Unterstützung für Habibullah II. zusammen.

„Nachdem der Staat 40 Jahre lang versucht hatte, die traditionellen Gesellschafts­ordnungen und Machtstrukturen seinem Primat zu unterwerfen, rebellierte die Bevölkerung, sobald der Herrscher Schwäche zeigte: Das Ziel der einfachen Bevölkerung wie auch des traditionellen Establishments war es, den staatlichen Einfluss abzuschütteln. Denn mit dem Staat verband man allein negative Dinge wie gewaltsame Umsiedlung, Zwangsarbeit, Militärdienst, Steuern und Korruption. Habibullahs Aufgabe wurde im Grunde darin gesehen, sich selbst und damit den Staat überflüssig zu machen.” (Conrad Schetter)

Mangelnde politische Erfahrung und fehlende Bildung - Habibullah II. war wie die Hälfte seines Kabinetts Analphabet - machten seine Herrschaft chaotisch und ineffizient. Zudem gelang es ihm nicht, Steuern einzutreiben, so dass die Staatskasse bald leer war. Seine Anhänger begannen nun, die Kabuler Bevölkerung auszurauben und mit willkürlicher Gewalt zu überziehen. Der Sturz durch die paschtunischen Stämme war nur noch eine Frage der Zeit.

Nader Schah

Nader Schah (1883-1933), ein Mohammadzai aus einer Nebenlinie der Herrscherfamilie, gelang es, die paschtunischen Stämme gegen Habibullah II. zu mobilisieren und ihn nach neunmonatiger Herrschaft zu stürzen. Aus paschtunischer Sicht war er nur Bache-ye-Saqqao, der Sohn des Wasserträgers, während für die Tadschiken Habibullah II. ein rechtmäßiger Herrscher war.
Nader Schah stützte sich in seiner Regierungszeit von 1930 bis 1933 vor allem auf seine Familie. In der Verfassung von 1931 ließ er den Anspruch seiner Familie auf den afghanischen Thron festschreiben - der allerdings nur ein Mal erhoben wurde. Von seiner Herrschaft profitierten vor allem die Paschtunen, indem er die Stämme von der Schul- und Wehrpflicht befreite. Er zollte den paschtunischen Rechtsvorstellungen Tribut und erhob die loya jirgah zur höchsten rechtlichen und politischen Instanz - allerdings weniger, um die Paschtunen an der Machtausübung zu beteiligen, sondern um ihr Wohlwollen zu gewinnen. Der Islam wurde Staatsreligion, die Scharia zur allgemein gültigen Rechtsordnung. Ein Gremium geistlicher Gelehrter sollte die Rechtmäßigkeit der Legislative überprüfen. Aussenpolitisch unterstützte er im Sinne der Neutralität weder den Umanhängigkeitskampf der Paschtunen in Britisch-Indien noch die gegen die Sowjetunion gerichtete basmachi-Bewegung in Mittelasien.
Nachdem er einen treuen Anhänger Amanullahs, der bei den paschtunischen Stämmen Stimmung gegen Nader Schah machte, hatte hinrichten lassen, wurde er am 8. November 1933 in der deutschen Nejat-Schule Opfer eines Attentats. Sein 19-jähriger Sohn Zahir Schah (1914-2007) folgte ihm problemlos.

Afghanistan im Zweiten Weltkrieg: Neutralität

Zahir Schah regiert zwar von 1933-1973, griff aber erst 1963 aktiv in die Politik ein. Bis dahin galt er als König, der regierte, aber nicht herrschte. Von 1933 bis 1946 führte sein Onkel Mohammed Haschem Khan die Regierungsgeschäfte, von 1946 bis 1953 sein Onkel Schah Mahmud Khan und von 1953 bis 1963 sein Vetter und Schwager Mohammed Daud Khan.

Mohammed Haschem Khan

Mohammed Haschem Khan (1884-1953 | 1933-46) führte die autoritäre Politik Nader Schahs fort. Die Wirtschaft begann zu prosperieren, die Armee wurde durch die engen Verbindungen zwischen Afghanistan und dem nationalsozialistischen Deutschland durch Ausrüstung und Ausbildner gestärkt. 1937 nahm die Deutsche Lufthansa eine unregelmäßige Flugverbindung Berlin — Kabul auf.

Junkers-Flugzeuges Ju 86 B-0 D-AKOP ‚Kismet‘ der Lufthansa in Kabul
Aufnahme des 2-motorigen Junkers-Flugzeuges Ju 86 B-0 D-AKOP ‚Kismet‘ der Lufthansa bei der Landung auf der unbefestigten Roll-/Lande-Bahn des alten Kabuler Flugplatzes auf der Ebene von Sherpur. Im Hintergrund die Hangar-Gebäude.
Kabul, Freitag, 12. März 1937
Quelle: Luise von Segnitz, Kabul 1936-38

Außenpolitisch verfolgte Mohammed Haschem einen Kurs strikter Neutralität. Die durchaus engen Beziehungen auch zum nationalsozialistischen Deutschland, begründet mit dem Besuch Amanullahs in Berlin 1927, blieben weiter bestehen. Erst 1941 wurden die nichtdiplomatischen Angehörigen der Achsenmächte, darunter Experten der Organisation Todt, aus Afghanistan ausgewiesen.
1936 wurden diplomatische Beziehungen zwischen Afghanistan und den USA aufgenommen, 1942 eine diplomatische Vertretung in Kabul errichtet.

Afghanistan im Kalten Krieg

1947 erlangte Britisch-Indien seine Unabhängigkeit. Durch die Teilung Indiens wurde es in zwei Dominions aufgespalten, die Indische Union und Pakistan. Damit fiel für Afghanistan einerseits das Gegengewicht zu den Ambitionen der Sowjetunion nach einer territorialen Ausbreitung weg. Andererseits erwuchs ihm mit Pakistan aufgrund der Paschtunistan-Frage ein Kontrahent. Daher war eine Neuorientierung der Außenpolitik dringend erforderlich, die allerdings Mohammed Haschem nicht zugetraut wurde.

Sardar Schah Mahmud Khan

Schah Mahmud Khan (1887-1959 | 1946-1953) war für die neuen Beziehungen zu den USA mit seiner Politik der Demokratisierung Afghanistans geeigneter. Afghanistan versuchte, das amerikanische Interesse auf sich zu ziehen, um an dem weltweiten Hilfsprogramm partizipieren zu können. Im März 1946 wurde ein Vertrag mit der amerikanischen Baufirma Morrison & Knudsen unterzeichnet. Ziel war der Bau eines riesigen Bewässerungsprojekts am Helmand im südlichen Landesteil. Das Helamd-Tal-Projekt erwies sich jedoch bald als Fass ohne Boden, in dem die afghanischen Devisenreserven verschwanden, so daß der Staat 1953 praktisch bankrott war.
Die Demokratisierungsbewegung beschränkte sich auf die städtischen Regionen, so daß das prekäre Machtgleichgewicht nicht angegriffen wurde. Die erbitterten Auseinandersetzungen in Kabul zwischen Demokraten und Autokraten, Kapitalisten und Etatisten, Kosmopoliten und Irredentisten führten zu instabilen Regierungen. Ihren Höhepunkt fanden die Auseinandersetzungen im Sommer 1951, als die Opposition einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung einbrachte. Es ging um die Priorität der Legislative vor der Exekutive. Die Abstimmung brachte zwar die erwartete Niederlage der Opposition. Aber bei der Wahl für die achte Sitzungsperiode des Nationalrats wurden nur erwünschte Volksvertreter zugelassen. Damit war die erste demokratische Periode in Afghanistan beendet.

Sardar Mohammed Daoud Khan

Mohammed Daoud (1909-1978 | 1953-1963, 1973-1978), ein Vetter und Schwager von König Zahir Schah, übernahm 1953 die Regierungsgeschäfte. Er entsprach dem Typ des selbstbewussten Dritte-Welt-Politikers, ähnlich wie Nasser, Nehru oder Sokarno. Die zehn Jahre seiner Regierungszeit gelten als Anfang der ökonomischen und industriellen Entwicklung Afghanistans. Die USA hatten Ende der 1940er-Jahre das Interesse an Afghanistan verloren und wandten sich Südostasien zu. Sie entsprachen nicht dem Antrag auf Waffenlieferungen. Afghanistan trat 1955 nicht dem Bagdad-Pakt bei, dem der Iran und Pakistan angehörten.
Daoud wandte sich der Sowjetunion zu, die nach dem Tod Stalins Einfluss im Nachbarland gewinnen wollten. Damit wurde Afghanistan aber auch für die USA wieder interessant, es entstand ein Wettbewerb zwischen den Großmächten um das Land. Afghanistan wurde zum Schulbeispiel für direkt ineinandergreifende Hilfsaktionen. Die Sowjets investierten massiv in das afghanische Militär, engagierten sich aber auch im Entwicklungsbereich:

  • Bau des Flughafens Bagram,
  • Ausbau des Flughafens Kabul,
  • Bau einer Allwetterstraße von Kabul durch den Salang-Tunnel nach Kunduz und zur sowjetischen Grenze (September 1964),
  • Bau einer Überlandverbindung von Kandahar nach Herat.

Daneben vergaben sie günstige Kredite, die die Finanzierung von Daouds erstem Fünf-Jahres-Plan sicherten.

Afghanistan, Salang Tunnel 1972
Salang Tunnel, August 1972
ganzjährige Verbindung auf 3.360 Meter Höhe zwischen Kabul und Kunduz
Foto © bilderreisen.at/Walter Reinthaler (cc)

Auch die USA vergaben Entwicklungshilfe und Kredite, bauten die Überlandstraße von Kabul nach Kandahar und den Flughafen dort und engagierten sich im Bildungswesen. Zu einer direkten Konkurrenz der Großmächte kam es nie. Drittgrößter Enwicklungshilfegeber war die Bundesrepublik Deutschland, die in der Polizeiausbildung tätig war und sich im Paktya Devepolpment Program engagierte, mit dem dieses paschtunische Gebiet enger an die Zentralmacht gebunden werden sollte. Auch andere Länder engagierten sich in Afghanistan. So baute etwa Japan die Wasserversorgung Kabuls mit öffentlichen Wasserentnahmestellen und ermöglichte der Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Daoud scheiterte letzten Endes am Paschtunistan-Irredentismus. Mit dem Anschluss der North West Frontier Province nach dem Zusammenbruch Britisch-Indiens an Pakistan in einem umstrittenen Referendum machte sich Afghanistan zum Anwalt der Paschtunen. Die Gründung eines eigenen Staates bzw. der Anschluss an Afghanistan waren keine Option im Referendum gewesen. Daher kündigte Afghanistan 1949 das Grenzabkommen mit den Briten und anerkannte die Durand-Linie nicht mehr als Staatsgrenze. Pakistan reagierte mit Grenzsperren, die Afghanistan wirtschaftlich nicht stemmen konnte. Der Güterverkehr nach Afghanistan lief vorwiegend über Pakistan, die Verbindungen zur Sowjetunion und den Iran waren noch nicht ausgebaut. 1961 schickte Daoud paschtunische Stammesmilizen nach Pakistan und zog Militäreinheiten an der Grenze zusammen. Pakistan reagierte mit einer Transitsperre, und Daoud mußte schließlich im März 1963 zurücktreten. Die Beziehungen zu Pakistan normalisierten sich daraufhin.

König Zahir Schah

König Mohammed Zahir Schah von Afghanistan, 1963
König Mohammed Zahir Schah von Afghanistan, 1963
Quelle: Wikipedia (PD)

Neben dem Paschtunistan-Konflikt war ein weiterer Grund für den Rücktritt Daouds wohl die Absicht von König Zahir Schah (1914-2007 | 1933-1973), selbst in den Vordergrund zu treten und die Herrschaft zu übenehmen. Vermutlich hatte es zwischen den Vettern einen jahrelangen Machtkampf im Hintergrund gegeben - die Verfassung von 1964 schloß Mitglieder der königlichen Familie dann dezidiert von politischen Ämtern aus. Ein Lex Daoud.
Diese Verfassung, die im September 1964 von einer loya jirga beschlossen wurde, enthält Ansätze eines westlichen Parlamentarimus mit Bürgerrechten, einem säkularen Rechtssystem und einem Zwei-Kammern-Parlament, bleibt jedoch auf den König zentriert. Die Regierungsgeschäfte obliegen den jederzeit austauschbaren Premierministern. Ein Parteiengesetz war vorgesehen, wurde von Zahir Schah jedoch nicht ratifiziert. Damit blieben die Parteien illegal, fühlten sich aber ihrerseits auch nicht an die Verfassung gebunden. Die einzelnen Abgeordneten waren ihren eigenen Interessen und ihrem Klientel verpflichtet. Die abstrakten Konstrukte von Staat und Nation griffen nicht. 1965 und 1969 fanden landesweite Wahlen statt, das Parlament blieb jedoch ein schwaches politisches Instrument.

„Wie schwer dieses Versäumnis wog, muss vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels in den sechziger und siebziger Jahren gesehen werden. So setzte sich die Machtelite nach wie vor aus wenigen hundert Familien zusammen, die durch Großgrundbesitz oder Handel wohlsituiert waren, bereits in der Vergangenheit Regierungsposten innegehabt hatten und eine vornehme Abstammung vorweisen konnten. Die Regierungsbildungen konzentrierten sich auf das Kabuler Establishment, während Afghanen ländlicher Herkunft kaum die Chance hatten, in hohe Staatsämter zu gelangen. In dieser Schieflage offenbarte sich der krasse Stadt-Land-Gegensatz, der das wesentliche Konfliktpotential darstellte.” (Conrad Schetter)

Viele Afghanen verklären diesen Zeitraum nostalgisch zu einer Epoche des poltischen und demokratischen Erwachens. Allerdings war es auch eine Epoche der politischen Instabilität - fünf Premierminister in diesem Zeitraum - und der wirtschaftlichen Stagnation. In der Dürreperiode von 1969 bis 1972 starben etwa 100.000 Menschen, wodurch der König und die Regierung aufgrund des mangelhaften Katastrophenmanagements schwer an Ansehen verloren. In Kabul kam es immer wieder zu Demonstrationen, vor allem der kommunistischen Studenten, und zu ersten ausländerfeindlichen Aktionen.
Trotzdem war es eine Epoche des Friedens, vor allem an den folgenden Zeiten gemessen, der wachsenden Properität, der politischen Entwicklung und Freiheit des Einzelnen - ein Goldenes Zeitalter, das als Weg in die Zukunft erschien.

Der Putsch von Mohammed Daoud

Während König Zahir Schah zur Kur in Rom weilte, putschte sein Vetter und frühere Premierminister Mohammed Daoud am 17. Juli 1973 mit Hilfe von sowjetisch ausgebildeten Offizieren und Teilen der marxistisch-leninistischen Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA). Die DVPA hatte sich 1966 in die Flügel khalq (Volk) und parcham (Fahne) gespalten. parcham galt als gemäßigt, spöttisch als Königliche Kommunistische Partei bezeichnet, und hatte ihre Mitglieder aus dem traditionellen Kabuler Establishment. khalq war ideologisch radikal und rekrutierte sich aus paschtunischen Studenten aus Süd- und Ostafghanistan. Der Führer der parcham war Babrak Karmal (1929-1996) aus der Kabuler Herrschaftselite. khalq wurde von Mohammed Taraki (1917-1979) und Hafizullah Amin (1929-1979), beides Ghilzai-Paschtunen aus ländlichen Regionen, geführt.
Möglicherweise war der Putsch Daouds mit dem regierungsmüden König abgesprochen. Daoud rief die Republik Afghanistan aus und ernannte sich zum Staatsoberhaupt. Später übernahm er noch den Posten des Premierministers, des Außen- und des Verteidigungsministers. Die Verfassung von 1964 wurde aufgehoben, ebenso die Pressefreiheit. Seine Verfassung von 1977 ist nicht demokratisch, sondern beruht auf einer bizarren Mischung aus Sozialismus und Nationalismus.
Daouds Regierungsvorstellungen waren einfach nicht mehr zeitgemäß. Sein dritter Fünfjahresplan blieb um 40% hinter dem zweiten Plan. Die landwirtschaftliche Produktion konnte mit dem Bevölkerungswachstum von jährlich 2,4% nicht mithalten. Die Unterstützung der traditionelle islamistischen Elite verspielte er durch willkürliche Verhaftungen. Die parchamis, die ihn unterstützt hatten, drängte er aus der Regierung. Der sowjetische Einfluß schwand, Daoud fand in Pakistan und dem Iran neue Verbündete. Sein Versuch, in Afghanistan das Goldene Zeitalter wiederzubeleben und die kommunistische Gefahr - real oder eingebildet - zurückzudrängen, scheiterte vollkommen. Am 28. April 1978 putschte sich die DVPA an die Macht (Saur-Revolution = April-Revolution). Mohammed Daoud und seine Familie wurden hingerichtet.

Demokratische Republik Afghanistan

Für den Putsch, der nicht von sowjetischer Seite geplant war und Moskau überraschte, hatten sich die verfeindeten Flügel der DVPA, parcham und khalq, wieder zusammengefunden. Mohammed Taraki wurde Präsident, Babrak Karmal und Hafizullah Amin Vizepräsidenten. Aber der Frieden hielt nicht lange: persönliche Abneigungen zwischen Taraki und Karmal, aber auch unterschiedliche politische Vorstellungen trennten die beiden Flügel bald wieder. parcham stand für einen kontinuierlichen Wandel, während khalq einen radikalen Umsturz anstrebte. Eigentlich hätte khalq mit seiner ländlichen Herkunft das Beharrungsvermögen und Widerstandspotential der ländlichen Bevölkerung kennen müssen. Aber vielleicht glaubten sie auch, es durch einen radikalen Umsturz brechen zu können. Sie sollten sich gewaltig irren.
Die parcham wurde aus der Regierung gedrängt, Karmal als Botschafter nach Prag abgeschoben. Amin wurde bald zum eigentlichen Machthaber. Die Maßnahmen und die Rhetorik der khalq orientierten sich an den erfolgreichen sowjetischen Vorbildern: Landreform und Alphabetisierungskampagne. Weiters dekretiert wurde die Abschaffung des Brautpreises, die Festlegung eines Mindestheiratsalters und das Verbot von Wucher - an sich keine schlechten Vorhaben.
Die Landreform mit einer Obergrenze für Landbesitz scheiterte an den komplexen afghanischen Wirtschafts- und Sozialstrukturen und am praktisch nicht vorhandenen Großgrundbesitz. Den Pächtern ging es um verbesserte Pachtverhältnisse, nicht um den Besitz von Boden. Außerdem kollidierte die Umverteilung von Land mit den islamischen Vorstellungen, nach denen Landbesitz unantastbar ist. Das herablassende Auftreten der städtischen Reformer verstärkte die ablehnende Haltung der Bevölkerung.
Auch die Analphabetismuskampagne, mit der den Mullahs das Herrschaftswissen entrissen werden sollte, entfachte durch die Art und Weise der Umsetzung den Zorn der Bevölkerung. Die Geschlechtertrennung in den Schulen sollte aufgehoben und auch alte Menschen - unabhängig von ihrer sozialen Stellung - in den Unterricht gezwungen werden. Und auch das Auftreten der Lehrer, die den fortschrittlichen städtischen Menschen zum Vorbild hatten, empörte.
Die Regierung ging mit aller Härte gegen potentielle Gegner vor, Verhaftungswellen füllten die Gefängnisse - insbesondere Pul-i-Charki, das berüchtigte Gefängnis in Demazang an der Peripherie Kabuls. Etwa 50.000 - 100.000 Menschen wurden zu Opfern. khalq wollte die gesamte Elite, die ihren Kurs nicht unterstützte, eliminieren. Schon bald kam es zu Aufständen im ganzen Land, auch in den paschtunischen Provinzen. Das Militär schlug sich teilweise auf die Seite der Auständischen. Die Ermordung des amerikanischen Botschafters Adolph Dubs nach seiner Entführung brachte die USA wieder ins Spiel. Moskau war im Zwiespalt: Einerseits mußte die Sowjetunion, als Träger der Weltrevolution und gemäß der Breschnew-Doktrin, der Lehre der Unumkehrbarkeit eines revolutionären Prozesses, khalq unterstützen. Außerdem fürchtete sie die Wirkung auf ihre kommunistisches Imperium, wenn sie Afghhanistan sich selbst überließ. Andererseits betrachtete sie die afghanischen Genossen sehr skeptisch.

1979-1989: Afghanistan und die Sowjetunion

Mehrere Versuche der Sowjetunion, das Problem intern zu lösen, schlugen trotz der Entsendung von 5000 Militär- und Zivilexperten fehl. Taraki, der die Führung übernehmen sollte, wurde von Hafizullah Amin kaltgestellt und starb am 10. Oktober 1979 unter ungeklärten Umständen. Die Anbiederung Amins an Pakistan und die USA alarmierten den Kreml, der Afghanistan seit der April-Revolution zum sowjetischen Glacis zählte. Die Hardliner im Kreml um den Chefideologen Suslow und Außenminister Gromyko setzten sich mit der Idee einer Intervention gegen die Vertreter der Entspannungspolitik, KGB-Chef Andropow und Verteidigungsminister Ustinow, durch. Die Position Breschnews blieb ungeklärt.

Sowjetische Intervention

Am Weihnachtstag 1979 überschritt die 40. Sowjetarmee die afghanische Grenze. Ab dem 24. Dezember 1979 wurden sowjetische Divisionen über eine Luftbrücke nach Kabul geflogen. Am 27. Dezember besetzen sie Kabul. SpezNas-Einheiten (Spezialeinsatzkommando der Russischen Föderation) erschossen Amin in der Operation Storm-333 im Tajbeg-Palast, nahe dem Palast von Darulaman. Babrak Karmal wurde von der Sowjetunion als Präsident eingesetzt. Am folgenden Tag überschritten usbekische und tadschikische Einheiten den Amu Darya, die allerdings bald gegen russische Einheiten ausgetauscht werden mußten, da die Gefahr einer Verbrüderung bestand. Innerhalb weniger Wochen waren 85.000 Soldaten als begrenztes Kontingent der sowjetischen Truppen in Afghanistan. Bis 1988 wuchs ihre Zahl auf 115.000.
Die militärische Intervention wurde umgehend von westlichen und islamischen Staaten verurteilt,e die Olympischen Sommerspiele 1980 (Moskau/Tallinn) von vielen Staaten deshalb boykottiert. Damit endete die Entspannungspolitik der Supermächte. Der Kalte Krieg kam in eine kritische Phase, die letztlich den Untergang der Sowjetunion bewirkte. Offen bleibt, ob diese Intervention auch den sowjetischen Expansionsbestrebungen geschuldet ist, die dem Kreml einen Zugang zum ganzjährig eisfreien Indischen Ozean verschaffen sollte.
Der Kampf der Mudschahedin gegen die sowjetischen Truppen und die Kommunisten verstärkte sich im ganzen Land. Ein Bündnis islamistischer und monarchistischer Gruppierungen gründete die Islamische Allianz für die Freiheit Afghanistans, die allerdings untereinander zerstritten war. Die Kooperation beschränkte sich auf die Bekämpfung der kommunistischen Herrschaft.
Die Peschawar-Sieben-Allianz vereinigte die wichtigsten sieben sunnitisch-islamischen Widerstandsgruppen, die aber ebenfalls untereinander zerstritten waren. Über sie lief die Unterstützung mit Geld und Waffen seitens Saudiarabiens, Pakistans und der USA. Die regionalen Führer der Mudschahedin, meist Warlords genannt, wurden in den westlichen Staaten hofiert, obwohl auf ihrer Agenda Demokratie und Freiheitsrechte nicht weit oben standen. Auch sie bekämpften sich vorwiegend gegenseitig und nur bedingt die sowjetischen Truppen.
Im Iran wurde die schiitische Allianz der Islamischen Revolution, bestehend aus acht Gruppen und mit dem Operationszentrum lm zentralafghanischen Hazaradschat, gegründet.
Trotz der Zerstrittenheit des Widerstandes gelang es der sowjetischen Armee nie, mehr als die Städte und die Überlandstraßen zu kontrollieren - bei Tag. In der Nacht mußten die Befehlshaber der Stützpunkte ausgeflogen werden. Die Armee erschöpfte sich in umständlichen Großoperationen - wie etwa die sechs vergeblichen Offensiven gegen Ahmed Shah Massud und das Panjirtal. Einem Guerillakrieg in einem unübersichtlichen gebirgigen Gebiet war sie nicht gewachsen. Auch ihre Lufthoheit verlor sie, als die Mudschahedin Stinger-Raketen geliefert bekamen. Der Widerstand sollte durch eine Politik der verbrannten Erde gebrochen werden: Bombardierung der Dörfer, Zerstörung der Bewässerungsanlagen, Schmetterlingsbomben gegen Kinder. Die Bevölkerung sollte in die Städte oder zur Auswanderung gezwungen werden.
Mit der Wahl von Michail Gorbatschow 1985 zum neuen Generalsekretär der KPdSU änderte sich in der Kriegsführung zunächst wenig. Er suchte eine schnelle militärische Lösung, die es aber aufgrund der verlorenen Luftüberlegenheit 1987 nicht gab. Der Krieg war wohl nicht mehr zu gewinnen, aber vielleicht gab es eine Lösung, wie sie die Briten im 19. Jahrhundert fanden.

„Von 1985 bis 1987 war die Afghanistanpolitik Moskaus bestimmt durch das Bemühen, den Krieg ohne Niederlage zu beenden. Auch Gorbatschow teilte in gewisser Weise die Befürchtung seiner Vorgänger, dass ein übereilter sowjetischer Rückzug das Ansehen vor allem bei den Staaten der Dritten Welt beeinträchtigen könnte. Aber er wollte den Krieg beenden, und die Mehrheit des Politbüros stand hinter ihm. Die Frage lautete jetzt nur, wie man in Kabul ein neues Regime installieren könnte, das auch ohne die Anwesenheit der sowjetischen Truppen Bestand haben würde.” (Artemy Kalinovsky, „A Long Goodbye: The Soviet Withdrawal from Afghanistan“, Cambridge 2011: Harvard University Press. zit. nach Le Monde diplomatique vom 10.08.2012)

Babrak Karmal wurde auf sowjetischen Wunsch von Mohammed Nadschibullāh (1947-1996) abgelöst. Am 14. April 1988 unterzeichneten in Genf die afghanische und die pakistanische Regierung sowie die UdSSR und die USA als Garantiemächte ohne Einbindung des Widerstands einen Friedensvertrag, der den Abzug der sowjetischen Truppen vorsah. Dieser gelang auch - ohne das Chaos beim Abzug der NATO-Truppen im August 2021 - bis Februar 1989.

Sowjetischer Rückzug 1989
Die letzten sowjetischen Soldaten verlassen Afghanistan über die Brücke von Termiz (Brücke der Freundschaft), Februar 1989 (Ausschnitt)
Quelle: Wikipedia/RIA Novosti archive, image #58833 / A. Solomonov (CC-BY-SA 3.0)

Nach zehn Jahren Krieg hatte die Sowjetunion zwischen 13.000 und 26.000 (keine genaueren Angaben vorhanden) Soldaten verloren, Afghanistan über eine Million Tote sowie etwa fünf Millionen Flüchtlinge. Auch die Sowjetunion war in Afghanistan gescheitert.

1989-2001: Bürgerkrieg und Taliban

Nadschibullāh, ein Mediziner, galt ursprünglich als einfältig und schwerfällig. Aber er hielt sich länger als erwartet, zeigte seine Verbundenheit mit der islamischen Gesellschaftsordnung, erhob den Islam zur Staatsreligion und verschaffte den zurückgedrängten Paschtunen ein neues Selbstbild. Eine loya jirga 1989 und 1990 verabschiedete eine neue Verfassung, blieb aber politisch einflußlos und war nur eine demokratische Fassade. Auch das Parlament hatte keine Entscheidungshoheit.
Nadschibullāh förderte die Bildung von Milizen, die als zuverlässiger als die Armee galten und lokal oder ethnisch verankert waren. Allerdings verlor der Staat damit sein Gewaltmonopol, Afghanistan zerfiel. Mit ständig wechselnden Bündnissen festigten die Gruppierungen ihre militärische Position. Die Lage erinnert an die Moguln-, Duranni- oder die britische Herrschaft.
Mitte der 1980er-Jahre wurde aus der Konkurrenz der Widerstandsparteien ein offener, gewaltsamer Konflikt, der seine Wurzel mehr in den machtpolitischen Interessen und persönlichen Rivalitäten hatte. Die Hauptkontrahenten waren der Usbeke Rashid Dostum im Norden, Ahmed Shah Massud, der im Panjirtal einen Kleinstaat aufgebaut hatte, und Gulbeddin Hekmatjar, ein Paschtune aus dem Süden. Der Sturz von Nadschibullah 1992, ausgelöst durch das Ende der Sowjetunion und der damit verbundenen Einstellung der Unterstützungsleistungen, führte zu einem mörderinschen Kampf der ehemaligen Widerstandsgruppen. Dabei wurde auch das bisher verschonte Kabul schwer zerstört. Die Regierung brach zusammen, Nadschibullah floh in die UNO-Mission in Kabul, wo er 1996 von den Taliban ermordet wurde. Die Taliban schleiften seine Leiche mit einem Lastwagen durch die Straßen und hängten sie dann an eine Straßenlaterne.

Die Taliban sind eine Erfindung der pakistanischen Premierministerin Benazir Bhutto (1953-2007) und des pakistanischen militärischen Geheimdienstes Inter Services Intelligence (ISI). Talib heißt Schüler, denn sie wurden während des sowjetisch-afghanischen Krieges in pakistanischen Medressen (Reliogionsschulen) ausgebildet. Sie sind eine antimoderne und fundamentalistische islamische Bewegung, die ein Sittengesetz einführen wollen, wie es in ihrer Vorstellung im Afghanistan vor den Reformen der 1950er Jahre existiert hatte. Allerdings hatten die meisten Taliban das von ihnen angestrebte traditionelle Afghanistan kaum jemals erlebt, ihre Ideologie bezieht sich stattdessen auf ein imaginiertes Dorfleben, wie es in der Vorstellung von in Lagern oder Madrasas aufgewachsenen Flüchtlingen existierte. Diese Weltvorstellung, gepaart mit dem paschtunischen Rechts- und Ehrenkodex, dem Paschtunwali und einem im 11. Jahrhundert erstarten Islam, sind das ideologische Fundament.
Erstmals treten sie im Oktober 1994 mit der Eroberung des Ortes Spin Baldak in der Provinz Kandahar an der Grenze zu Pakistan in Erscheinung. Ende Oktober erobern sie Kandahar. In den folgenden drei Monaten übernehmen sie die Kontrolle über 12 von 31 Provinzen und rückten bis an die Außenbezirke von Herat und Kabul vor. 1996 nahmen sie Kabul ein und machten Afghanistan zu einem Islamischen Emirat. Die Parteien und Kriegsfürsten, die sich bis aufs Blut bekämpft hatten, schlossen sich gegen die Taliban zur Nordallianz zusammen, während die Taliban aus Pakistan und Saudi-Arabien Unterstützung erhielten. Auch die USA und amerikanische wie saudi-arabische Firmen, die eine Pipeline von Turkmenistan durch Afghanistan nach Pakistan bauen wollten, bekundeten zeitweilig Interesse an den Taliban.
Nachdem die USA Osama bin Laden, der sich in Afghanistan aufhielt, und das terroristische Netzwerk al-Qaida als Drahtzieher der Anschläge auf die US-Botschaften in Dar-es-Salaam und Nairobi 1998 identifizierten, bombardierten sie islamistische Ausbildungslager in Ostafghanistan. Auch 9/11, die Anschläge des 11. September 2001, gehen auf bin Laden zurück. Als sich Afghanistan unter Berufung auf das paschtunische Gastrecht jedoch weigerte, ihn auszuliefern, stellten die USA mit der Coalition against Terrorism ein Bündnis aus NATO, Russland, Saudi-Arabien und Pakistan auf und starteten am 7. Oktober 2001 die Operation Enduring Freedom.

Afghanistan und die USA

Islamische Republik Afghanistan

Gemeinsam mit der Nordallianz gelang es ihnen in kurzer Zeit, die Taliban zu besiegen. Die Friedensgespräche (27.11.-05.12.2001) auf dem Petersberg bei Bonn brachten eine Übergangsregierung unter Führung von Hamid Karzai, einem Angehörigen des paschtunischen Königs-Stammes der Popalzai. In Kabul wurde die International Security Assistance Force (ISAF) mit einem UN-Mandat eingerichtet. Sie umfasste zunächst 5000 Mann und wurde im Lauf der Jahre personell auf 115.000 aufgestockt und landesweit ausgedehnt. 2002 bestätigte eine loya jirga Hamid Karzai und die Übergangsregierung. Und am 4. Januar 2004 beschloss sie eine neue Verfassung, mit der Afghanistan zur Islamischen Republik Afghanistan wurde. Bei den Präsidentschaftswahlen 2004 und 2009 wurde Hamid Karzai im Präsidentenamt bestätigt. 2005 und 2010 fanden Parlamentswahlen statt.

Amtseinführung von Hamid Karzai 2004
Amtseinführung von Hamid Karzai, Dezember 2004
Rechts der ehemalige König von Afghanistan Mohammed Zahir Schah
Quelle: Wikipedia/Defense Dept. photo by U.S. Air Force Master Sgt. James M. Bowman (PD)

Allerdings gelang es nicht, Afghanistan dauerhaft zu befrieden. Die Einzelinteressen der verschiedenen Machthaber, der Drogenhandel und die endemische Korruption behinderten den Wiederaufbau. Auch machten die USA von Anfang an den Fehler, sich auf die Jagd nach Osama bin Laden, der schließlich am 2. Mai 2011 im pakistanischen Abbottabad gezielt getötet wurde, zu fixieren. Sie entmachteten die regionalen Warlords nicht und engagierten sich auch nicht in einem Staats- und Nationenbildungsversuch - was sie auch, nach den Worten des US-Präsidenten Joe Biden, nicht als ihre Aufgabe ansahen. Sie investierten in das Militär, während zivile Projekte auch von den anderen NATO-Partner nur wenig in Angriff genommen wurden.

Die Wiederkehr der Taliban

Die Taliban erstarkten wieder und konnten sich auf regionaler Ebene festsetzen. Das führte zu Friedensverhandlungen in Dohar und im Februar 2020 zum Friedensabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban. Die afghanische Regierung wurde nicht einbezogen. Die USA und die NATO verpflichteten sich dabei, ihre Streitkräfte innerhalb von 14 Monaten aus Afghanistan abzuziehen. Im Gegenzug garantierten die Taliban, innerhalb von zwei Wochen Friedensgespräche mit der afghanischen Regierung aufzunehmen und dem Terrorismus abzuschwören bzw. diesen in Afghanistan nicht zu dulden.
Die Taliban hatten innerhalb kurzer Zeit die Kontrolle über große Teile des gesamten Landes übernommen, da die Regierungstruppen den Widerstand weitgehend aufgegeben hatten. Nachdem schließlich nur noch die Hauptstadt Kabul als einzige größere Stadt unter Kontrolle der Regierung gestanden hatte, kündigte am 15. August 2021 der zu diesem Zeitpunkt amtierende Innenminister Abdul Sattar Mirzakwal eine friedliche Übergabe Kabuls an.
Der Abzug der NATO-Truppen endete am 31. August 2021 im Chaos. So hatten als dritte Weltmacht auch die USA in Afghanistan ihr Debakel erlebt.

Das Scheitern des Westens?

Ist nun der Westen in Afghanistan gescheitert?
JA, denn er hat weder das Ziel, einen modernen friedlichen Staat zu schaffen, noch die dauerhafte Vernichtung einer islamisch-fundamentalistischen Organisation erreicht. Die städtischen Eliten sind bedroht, eine terroristische Ausrichtung nicht auszuschließen. Und eine humanitäre Katastrophe dräut.
NEIN, denn der Westen muß schmerzlich zur Kenntnis nehmen, daß nicht alle Menschen an der liberalen Demokratie interessiert sind. Daß Steuereintreibung, Militärdienst und Eingriffe in das Privatleben den Staat nicht positiv erleben lassen. Es ist scheint's ein Irrtum anzunehmen, daß alle Menschen sich nach Demokratie, Freiheit und westlichen Werten sehnen.

„Die durchaus realitätsnahe Vorstellung, dass möglicherweise nicht alle, aber ein erheblicher Teil der Menschen in Staaten wie Afghanistan es einfach vorzieht, nach dem Gesetz der Scharia zu leben, Burka und Enthauptung inbegriffen, und unsere Lebensweise eher ablehnt, hat etwas unangenehm Verstörendes an sich.” (Christian Ortner, Die Presse 27.08.2021)

Vielleicht ist das die am meisten bedrückende Erkenntnis aus dem Ringen dreier Weltmächte um Afghanistan und ihrem Scheitern: Eine (schweigende) Mehrheit wollte es wohl so.

Quellen und weiterführende Literatur

  • Afghanistan und zahlreiche Unterartikel in der Wikipedia [zuletzt aufgerufen am 28.09.2021]
  • D. Balland, “AFGHANISTAN x. Political History,” 1982 (engl.) Encyclopaedia Iranica, Online Edition [zuletzt aufgerufen am 27.09.2021]
  • Afghanistan: Geschichte & Staat LIPortal [zuletzt aufgerufen am 27.09.2021]
  • Christian Parenti, Wer war Nadschibullah? Die sowjetische Invasion und die Irrtümer der afghanischen Kommunisten. Le Monde diplomatique 10.08.2012 [zuletzt aufgerufen am 28.09.2021]

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