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René Burri, Schweizer Fotograf

* 9. April 1933, Zürich/Schweiz
† 20. Oktober 2014, Zürich/Schweiz

René Burri war wohl der Letzte der großen Bildjournalisten des 20. Jahrhunderts, fotografierte fast alle Kriege und Krisen und bereiste zahlreiche Länder. Seine Porträts von prägenden Personen zählen zu den Bildikonen des 20. Jahrhunderts. Er verstand sich als konstruktiver Fotograf und hatte ein Doppelleben in Schwarzweiß und Farbe.

Biografie

René Burri
René Burri, Wien, Januar 2014
anlässlich der Ausstellung in der Galerie OstlichtFoto © www.bilderreisen.at/Walter Reinthaler (cc)

1933 Geboren als erstes von zwei Kindern von Rudolf Otto und Bertha Burri, geborene Haas. Der Vater ist Koch, hat aber großes Interesse an der Oper und später an der Fotografie. Die Mutter kam Anfang der 1920er-Jahre aus Freiburg im Breisgau, Deutschland, in die Schweiz.
1940-1949 Primarschule in Zürich.
1949 Studienbeginn an der Kunstgewerbeschule Zürich, Vorkurs bei Johannes Itten.
1950 Wechsel in die Fachklasse für Fotografie unter Hans Finsler (Fotografie) und Alfred Willimann (Grafik).
1953 Diplom summa cum laude. Arbeitet als Kameramann bei der Walt-Disney-Filmproduktion Switzerland unter der Regie von Ernst A. Heiniger und als Reporter. Erarbeitet eine Reportage über junge Amerikaner in der Schweiz für Die Woche. Fotografiert die große Picasso-Retrospektive in Mailand.
1954-1955 Rekrutenschule. Autostopp nach Paris, erfolgloser Versuch, Picasso zu treffen. Reportage über taubstumme Kinder in der Münchner Illustrierten und in Life. Wechselt vom Mittelformat (Roleiflex) zum Kleinbild (Leica).
1956 Korrespondierendes Mitglied der Agentur Magnum. Reisen nach Deutschland, Sizilien, Ägypten und in die Tschechoslowakei. Fährt mit dem Journalisten Georg Gerster auf dem letzten Öltanker durch den anschließend gesperrten Suez-Kanal (Suezkrise).
1957 Reise nach Nîmes für eine Reportage über das spanische Baskenland. Dort erste Begegnung mit Pablo Picasso, den er im Hotel, beim Abendessen und am nächsten Tag beim Stierkampf fotografiert. Fotografiert auf der Architekturausstellung „Interbau” (mit Bauten von Le Corbusier und Oscar Niemeyer) und in Ost-Deutschland. Berichtet über den Aufstand in San Marino.
1958 Erste Veröffentlichung in Du („Das lebendige Museum”, Nr. 209). Fotografiert in Ägypten Gamal Abd el-Nasser und den Bau des Assuan-Staudammes. Reist nach Syrien. Auf einer mehrmonatigen Lateinamerika-Reise entsteht sein legendärer Essay über den argentinischen Gaucho. Reist mit dem Geländewagen durch Bolivien, Peru und Brasilien, wo das Städteportrait über Rio de Janeiro entsteht.

René Burri, Rio de Janeiro
René Burri, Rio de Janeiro
Ausstellung Galerie Ostlicht, Wien, Januar 2014
Foto © www.bilderreisen.at/Walter Reinthaler (cc)

1959 Vollmitglied bei Magnum. Porträtiert Picasso in Südfrankreich. Die Reportage über die Gauchos in Argentinien erscheint in der Zeitschrift Du Nr. 217 (4 Farb- und 28 Schwarzweißfotos). Reist nach Ägypten, Zypern, Irak, Südfrankreich und Deutschland, wo er sein Buchprojekt „Die Deutschen” beginnt.
1960 Erarbeitet eine Serie über Schweizer Künstler in Paris (u.a. Alberto Giacometti). Reisen nach Brasilien (Einweihung der neuen Hauptstadt Brasilia), Iran, Japan, Südkorea, Thailand. Porträtiert Robert Oppenheimer und andere internationale Kernphysiker anlässlich der Eröffnung des europäischen Kernforschungszentrums CERN in Genf.
1961 Fotografiert für Du die Bauten von Le Corbusier in Paris, Marseille, Poissy und Eveux. Bereist den Iran, Japan, Südkorea und Thailand. Trifft in Zermatt den Musiker Pablo Casals.
1962 Publiziert sein erstes Buch: „Die Deutschen”, herausgegeben von Robert Delpire. Porträtiert Ingeborg Bachmann, Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass und Uwe Johnson beim Jahrestreffen der Gruppe 47. Reist nach Ägypten und Beirut.
1963 Reise nach Kuba im Auftrag der amerikanichen Zeitschrift Look. Trifft erstmals Fidel Castro und andere Revolutionsführer. Porträtiert Ernesto Che Guevara während des mehrstündigen Interviews mit der amerikanischen Journalistin Laura Berquist im Industrieministerium.

René Burri, Cuba
René Burri, Ernesto Che Guevara, Cuba
Ausstellung Galerie Ostlicht, Wien, Januar 2014
Foto © www.bilderreisen.at/Walter Reinthaler (cc)

Neben dem Che-Bild von Alberto Korda ist das Foto rechts oben wohl das bekannteste Foto von Che.

„Wir haben uns öfters gesehen - in Paris oder auf Kuba. 1993 dann hat er [Alberto Korda] mir einen Abzug seines Bildes geschenkt. Auf die Rückseite vermerkte er: «Für meinen Freund René, der damit einverstanden ist, das dies das bekannteste Bild von Che ist.» Ich hab ihm dann auch meines gegeben. Darauf der Satz: «Für meinen Freund Alberto, der damit einverstanden ist, dass dies das beste Bild von Che ist.» Trotz dieses Zwischenfalls sind wir Freunde geblieben.” (einestages)

Heirat mit Rosellina Bischof (geb. Mandel) in Zürich.
1964 Reise mit Pabst Paul XI. ins Heilige Land, 22-seitiger Bericht darüber in Paris-Match (Nr. 770, „Sur le pas de Jésus”). Reportage für das amerikanische Wirtschaftsmagazin Fortune über die Arabischen Emirate. Junfernflug der Boeing der Pakistan International Airlines von Karatschi nach Schanghai. Fotografiert in China Tschu en Lai. Gründet mit anderen Magnum-Mitgliedern Magnum-Films in New York. Geburt seiner Tochter Jasmine.
1965 Erste Einzelausstellung in Zürich. Arbeitet gemeinsam mit seiner Frau Rosellina am dreiteiligen Dokumentarfilm „The Two Faces of China” für die BBC. Fotografiert die thailändische Insel Koh Samui für Du Nr. 293. Erlebt in New York den Stromausfall in Manhatten, daraus entsteht seine experimentelle Serie Blackout in New York.
1966 Farbreportage über die neu eröffnete Autostrada del Sole für die Zeitschrift Nouvel Adam von Robert Delpire. Gemeinsam mit dem Schriftsteller Hugo Loetscher eine Du-Nummer über Salvador da Bahia (Du 317, 1967).
1967 TV-Dokumentarfilm über den Sechstagekrieg in Israel. Expo in Kanada, trifft Jean Tinguely, der im Schweizer Pavillon eine seiner kinetischen Plastiken installiert. Realisiert in Israel, Jordanien und Ägypten einen Film über die drei großen Weltreligionen (Judentum, Christentum, Islam). Erste Einzelausstellung in den USA (Chicago). Geburt des Sohnes Olivier.
1968 Reportage in Südafrika über das System der Rassentrennung (Apartheid) im Auftrag der Zeitschrift Realites. Fotografiert während der Eröffnung der Olympischen Spiele in Mexiko.
1969 Beginn der langjährigen Serie zum Thema „Modern Architecture" für das Daily Telegraph Magazine, fotografiert modernes Bauen in Finnland, Spanien, Frankreich, Italien, England, Dänemark und Japan. Erste Begegnung mit dem mexikanischen Architekten Luis Barragán.
1970 Expo 1970 in Osaka. Besucht das Chandigarh Le Corbusiers. Begleitet die Unabhängigkeit der Fidschi-Inseln. Fotografiert in Kairo die Beerdigung Nassers und die Wahl seines Nachfolgers Anwar al-Sadat. Zürcher Filmpreis für „Braccia si, uomini no” über Gastarbeiter in der Schweiz.
1971 Produziert zusammen mit Magnum Films/Philip Gittelmann einen Industriefilm für die Firma Xerox.
1972 Chicago-Spezial (mit Texten von Hugo Loetscher) für Du Nr. 375. Teilnahme an der Gruppen-Ausstellung „Behind the Great Wall” mit Arbeiten von Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, Marc Riboud, Edgar Snow u.a. im Metropolitan Museum, New York. Dokumentarfilm über Jean Tinguely.
1973 Freie Fotoarbeiten in Vietnam.
1974 Begleitet den Staatsbesuch von Leonid Breschnew in Kuba. Dokumentiert die Minenräumung am Suezkanal nach dem Jom-Kippur-Krieg. Fotografiert die historische Visite von Präsident Nixon in Ägypten. Porträtiert für ein Life-Spezial die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuweit, Saudi Arabien und den Iran.
1975 Reise nach Oman, Liberia und zur Phosphatinsel Nauru im Pazifik.
1976 Begleitet den Wahlkampf von Jimmy Carter an seinem Heimatort Plains (Georgia).
1977 Besucht nach 17 Jahren für die brasilianische Zeitschrift Manchete wieder Brasilia und fotografiert den „Karneval in Rio". Farbreportage für Geo (USA) über die „Fifth Avenue" in New York (Nr. 3, April 1981). Begleitet für das Sunday Times Magazine (unter Michael Rand) das silberne Thronjubiläum der britischen Königin.
1978 Fotografiert Argentinien zur Zeit der Militärjunta.
1979 Porträtiert die zwölf Apollo-Astronauten, die den Mond betreten hatten, zehn Jahre nach der ersten Mondlandung. Beschäftigt sich fotografisch dem Space-Shuttle-Programm von der Konzeption bis zum Start. Fotografiert palästinensische Trainingslager im Libanon.
1980 Fotografiert Deutschland am Vorabend der Wahlen. Porträtiert den Tänzer Rudolf Nurejew.
1981 Fotografiert die Trauerfeierlichkeiten für den ermordeten Präsidenten Anwar al-Sadat. Begleitet in Cape Canaveral Start und Landung der Raumfähre Columbia. Erstveröffentlichung von Collagen in 40 Jahre Du (Du 481).
1982 Initiator der Magnum Gallery in Paris. Präsident von Magnum Paris. Macht erste Fotos für einen großen Essay über den 40. Jahrestag der alliierten Landung in der Normandie.
1984 Erste große, auch die Collagen berücksichtigende Retrospektive „One World - Thirty Years of Photographs” im Kunsthaus Zürich, anschließend im Centre national de la Photographie, Paris und im Musee des arts decoratifs, Lausanne.
1985 Reise nach China für die seit langem geplante Reportage über den 50. Jahrestag des Langen Marsches.
1986 Tod seiner Frau Rosellina.
1987 Sieht und porträtiert zum letzten Mal den Architekten Luis Barragán. Begleitet die Studentenunruhen im Vorfeld der Olympischen Spiele in Südkorea.
1988 Beobachtet das Treffen zwischen Michail Gorbatschow und Ronald Reagan in Moskau. Porträtiert die im Tessin lebende Schriftstellerin Patricia Highsmith.
1989 Fotografiert in Kairo den soeben mit dem Nobelpreis ausgezeichneten ägyptischen Schriftsteller Nagib Machfus. Beobachtet den Fall der Mauer in Berlin. Reist nach China und erlebt die Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens.
1990 Konzipiert zusammen mit Marco Bischof das Begleitbuch der Wanderausstellung „Werner Bischof 1916-1954". Porträtiert in Tokio den Regisseur Akira Kurosawa und in Süddeutschland den Künstler Anselm Kiefer.
1991 Bildessay über das vom Bürgerkrieg zerstörte Zentrum von Beirut.
1993 Reise nach Kuba zur Wiederwahl Castros.
1994 Geburt von Sohn Leon Ulysse.
1995 Fotografiert den Besuch von Fidel Castro im Elysee Palast.
1997 Essay über Brasilia, gemeinsam mit dem Schriftsteller Jean Rolin. Fotografiert in La Higuera (Bolivien) den Ort, an dem dreißig Jahre zuvor Che Guevara hingerichtet worden war.
1998 Erhält den Dr.-Erich-Salomon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Fotografie. Heirat mit Clotilde Blanc in Mosogno.
1999 Buch über Le Corbusier. Kulturpreis des Kantons Zürich.
2000 Sichtung seines Archivs mit Blick auf eine für Anfang 2004 geplante große Monografie sowie eine Ausstellung im Maison Europeenne de la Photographie in Paris und dem Musee de l'Elysee in Lausanne. Konzipiert und ediert zusammen mit Agnes Sire den Bildband „magnum”.
2004 Ausstellung „Rene Burri - Retrospective 1950-2000” in Paris, Lausanne, Mailand, Zürich, Manchester, Rotterdam, Wien; später in Kuba, Mexiko, Argentinien, Venezuela, Kolumbien.
2011 Erhält den Swiss Press Photo Life Time Achievement Award für sein Lebenswerk.
2013 Ausgezeichnet mit dem Leica Hall of Fame Award für sein Lebenswerk.
2014 Am 20. Oktober stirbt Rene Burri in Zürich 81-jährig an seinem Krebsleiden. Er lebte und arbeitete in Zürich und Paris.

Werk

Bildchronik des 20. Jahrhunderts

René Burri hat zahlreiche historische Schlüsselmomente des 20. Jahrhunderts mit seiner Kamera festgehalten. Es entstanden aber genauso Bilder vom Alltag in Ländern wie Brasilien, China, Palästina, Vietnam und Deutschland. Seine Porträts von prägenden Personen wie Pablo Picasso, Winston Churchill, Ernesto Che Guevara, Muhammad Anwar as-Sadat, Le Corbusier oder Alberto Giacometti zählen zu den Bildikonen des 20. Jahrhunderts.

„Viele der Bilder, die uns aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Erinnerung geblieben sind, hat René Burri gemacht. Viele Menschen kennen diese legendären Bilder, doch viel zu wenige den faszinierenden Fotografen dahinter. Das ein wenig zu ändern, möchten wir mit dieser Retrospektive erreichen.” (Franz Patay, Direktor des KunstHausWien, anlässlich der Ausstellung René Burri - Fotografien, Wien 2010)

René Burri hat die goldene Ära der großen Illustrierten noch erlebt, bevor diese vor der Konkurrenz des schnelleren, bewegteren, lauteren Fernsehens kapitulierten. Von Life bis Look, vom Stern bis Paris-Match: Kaum eine internationale Zeitschrift, für die Burri nicht gearbeitet hätte. Von Mitte der 1950er bis zum Ende des Jahrhunderts hat Burri die Weltpresse beliefert. Man kann ihn traditionell als Bildjournalisten bezeichnen.
René Burri fotografierte praktisch alle Krisenherde, an denen das 20. Jahrhundert reich war. Er war am Sinai, in Korea, in Vietnam. Aber es gibt in seinem Bildarchiv keine Bilder von Toten, von Leichen, ja nicht einmal von Verwundeten auf Pritschen. Er sah natürlich die Toten, aber er mißtraute dem, was Roland Barthes als Schockfotos beschrieben hat. Burri ging es mehr um die Strukturen der Kriege, die Bündnisse, Verflechtungen, Interessen, die dahinter stehen. Denn kein Bild vom Krieg kann jemals den Krieg zeigen.
Aber es gibt noch andere „Nicht gemachte Bilder”, wie Burri sie selbst nennt. Etwa jene Bilder von oben auf Hunger, Krankheit, Armut und Elend. Oder den ehemaligen Kaiser von China, den er in Peking als Gärtner sah. Oder Greta Garbo, 1959 oder 1960 in New York. Oder Fidel Castro in Santiago de Cuba vor einem Hotel unter einem Schild mit der Aufschrift „Exit”.
René Burri versteht sich als konstruktiver Fotograf, interessiert am Entstehen von Dingen, an der Geburt von Ideen, aber auch am womöglichen Scheitern von Utopien. Er hat das Entstehen von Brasilia domumentiert, Visionäre wie Yves Klein oder Pablo Picasso bei der Arbeit beobachtet, Le Corbusier und dessen gebaute Träume bewundert.

René Burris Doppelleben

Burris Werk umspannt nicht nur sechs Jahrzehnte der neueren Foto-Geschichte, es tangiert auch praktisch alle Gattungen dokumentierender Fotografie - von der Reportage über den Essay bis hin zum Porträt, Architekturbild oder Landschaftsfoto. Vor allem schlägt Burri mit seinem Œuvre die Brücke vom Auftrag zum Selbstauftrag, vom Journalismus zur Kunst. Von Anfang an hat er sich als verlässlicher Dienstleister, als engagierter Journalist, als Zeitzeuge mit der Kamera verstanden, aber eben auch als Fotograf, der sich - ohne sich explizit als „Künstler” zu bezeichnen - stets für die formal-ästhetische Seite seines Mediums interessierte.

„Was Burri allerdings vom Gros seiner Kollegen unterscheidet, ist, dass Burri neben den Auftrag stets den Eigenauftrag stellte. Es gibt, wenn man so will, zwei Burris: Den verlässlichen Dienstleister, der um die Bedürfnisse der Presse bzw. die Grammatik einer Bildgeschichte weiß. Und den von Neugier, von Bilderhunger, von Formwillen getragenen «Kameramann», der sich nie Künstler nennen würde und doch nicht weniger ist als einer der großen Ästheten in der Fotografie des 20. Jahrhunderts.” (Hans-Michael Koetzle, Kurator)

Darüber hinaus - und bisher wenig beachtet - zählt Burri aber auch zu den Protagonisten der Farbfotografie mit künstlerischem Anspruch. Nach fünf Jahrzehnten fotografischer Praxis kann er auf ein reiches Farbwerk blicken, das nun erstmals erschlossen und als eigenständiger Beitrag zu New Color Photography gewürdigt wird.
Immer hatte er bei seinen Arbeiten neben der „offiziellen” Leica noch eine zweite dabei, mit der er seine eigenen Aufnahmen machte - im Lauf der Jahre zunehmend in Farbe. Bis in die 1970er Jahre wurde Farbe nur im Bereich der populären Fotografie, wie etwa in Werbung und Mode, eingesetzt, die künstlerische Fotografie fand nur in schwarz-weiß statt. Ein Grund dafür mögen unter anderem technische Probleme gewesen sein, Farben wirklichkeitsnahe wiederzugeben zu können, wie etwa Henri Cartier-Bresson einmal anmerkte.

René Burri, Doppelleben
René Burri, Doppelleben
Ausstellung Galerie Ostlicht, Wien, Januar 2014
Foto © www.bilderreisen.at/Walter Reinthaler (cc)

René Burri konnte dies nicht davon abhalten, sich früh der Farbe zuzuwenden. Da war einmal der wachsende Ruf seiner Auftraggeber im Printbereich - Zeitschriften wie Life, Look, Du, Stern oder Paris Match - nach der Farbe. Da war seine visuelle Neugier, aber auch sein anarchisch unterfütterter Hang zum Experiment. Da war seine Affinität als nimmermüder Zeichner zum Ausdrucksmittel Farbe. Und da war, natürlich, die Ahnung, dass man einer bunter werdenden Populärkultur nur mit Farbe begegnen konnte, gemäß einer Erkenntnis von Neal Slavin:
„A gold trophy can mean something different from a silver trophy and the distinction cannot be rendered in black and white.”
In diesem Sinne hat René Burri immer journalistisch gedacht, sprich: Eine farbiger werdende Welt mit Farbumkehrfilm erkundet.

„Natürlich, ich fotografiere nur noch in Farbe, digital. Ich habe meine Leica dabei, wie ich sie immer dabei hatte. Ich beobachte, notiere mit ihr. Ich möchte mit Auge, Herz und Hirn an der Welt teilnehmen, dabei sein und festhalten, was um mich herum passiert.”

Rene Burri und «Du»

Chronologie einer Zusammenarbeit

Du 814, 2011

Seit 1958 ist René Burri mit der Schweizer Kulturzeitschrift Du verbunden, er ist quasi ihr längster, aber auch freister Mitarbeiter. War etwa Werner Bischof gewissermaßen der Hausfotograf, so war Burri eher so etwas wie der Hausfreund: es gab Zeiten enger Verbindung und Zeiten der Entfremdung. 2011 feierte die Zeitschrift ihr 70-jähriges Bestehen mit einer Hommage an den großen Fotografen.

„Ich wollte mit meiner Neugierde, die mich in die Welt hinaus führte, die Welt fotografisch verstehen und die Umbrüche, die Geschichte vermitteln. Mehr kann ich nicht als Fotograf.” (René Burri, Du 814, 2011)

Die Zeitschrift Du wird im Kriegsjahr 1941 von Arnold Kübler gegründet und erscheint im Zürcher Verlag Conzett & Huber zunächst unter dem Namen Schweizerische Monatsschrift. Du war von Anfang an das wohl wichtigste Forum eines humanen Fotojournalismus in der Schweiz. Arnold Kübler hatte ihr die „Hervorhebung einer bildmäßigen, ästhetisierenden Fotografie” verordnet.
Von 1957 bis 1974 ist Manuel Gasser Chefredakteur von Du. Seine Du-Ausgaben werden von bedeutenden Künstlern geprägt: Fotografien von Henri Cartier-Bresson, eigens entworfene Titelblätter von Chagall, Miro oder Cocteau.
1964 fusioniert Du mit der Zeitschrift Atlantis. Die seit 1929 existierende Atlantis berichtete davor vor allem über Länder, Völker und Reisen. Mit dem Zusammenschluss der beiden Zeitschriften wird auch der Inhalt erweitert.
1989 wird Du unter dem Chefredakteur Dieter Bachmann (1988-1998) an die Zürcher Tamedia-Gruppe verkauft. Bachmanns Du-Ausgaben beschäftigen sich mit Themen, die davor in der Kulturzeitschrift kaum zu finden waren: Während der Vietnam-Krieg in den 60er Jahren beispielsweise an keiner Stelle erwähnt wurde, rücken Du-Ausgaben aus den 90er Jahren Kriegsthemen nicht nur fotografisch in den Vordergrund.
Von 2004 bis 2007 gehört Du zum Architekturverlag Niggli.
Im August 2007 wird Du an den Verleger Oliver Prange verkauft, der mit Dezember 2011 auch die Leitung der Redaktion übernimmt. Ende 2011 gewinnt Du in Hamburg den Henri-Nannen-Preis, den renommiertesten Preis im deutschsprachigen Journalismus, im Bereich Fotografie mit einer Reportage über den Illustrator Toni Ungerer. Die ETH Library in Zürich anerkennt Du als erhaltenswertes Kulturgut.

«Du»-Ausgaben mit René Burri

  • Das lebendige Museum (Du 209, 1958)
  • El gaucho. Bildbericht aus Argentinien (Du 217, 1959)
  • Besuch bei Le Corbusier (Du 244, 1961)
  • Japan bei der Arbeit (Du 246, 1961)
  • Zen in Bildern (Du 250, 1961)
  • In Deutschland (Du 259, 1962)
  • Vom Indus zum Karakorum (Du 274,1963)
  • Koh Samui. Beschreibung einer kleinen Insel im Golf von Siam (Du 293,1965)
  • Boxen in Thailand (Du 306,1966)
  • Bahia. Porträt einer Stadt (Du 317, 1967)
  • Chicago (Du 375, 1972)
  • China (Du 410, 1975)
  • Angst vorm Fliegen oder die Suche nach dem Gleichgewicht (Du 481,1981)
  • Warschau. Der Anfing einer Geschichte (Du 588, 1990)
  • Akira Kurosawa. Mit den Augen des Ostens (Du 594,1990)
  • Uwe Johnson. Jahrestage in Mecklenburg (Du 619, 1992)
  • Los Cubanos. Metamorphosen einer Revolution (Du 633, 1993)
  • Tango. Eine Art Sehnsucht (Du 677, 1997)
  • Picasso. Seriell. Medial. Genial (Du 687, 1998)
  • Das Wunder von Medellín. Notizen zur Globalisierung der Poesie (Du 699,1999)
  • Weihnachten 2002, Rue de Rivoli, Paris (Du 735, 2003)
  • Tender is the Night (Du 800, 2009)
  • René Burri (Du 814, 2011)

Was bleibt

René Burri zählt zu den Fotolegenden des 20. Jahrhunderts. Als Mitglied der legendären Fotoagentur Magnum gehörte er zur „2. Generation” nach den Gründern Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, George Rodger und David „Chim” Seymour. Von ihm stammen einige der Bildikonen der Fotografie, wie etwa das berühmte Bild von Ernesto Che Guevarra mit Zigarre, 1963 im cubanischen Industrieministerium entstanden. Oder das Foto von vier Männern auf einem Hochhausdach in São Paulo, die lange Schatten werfen und uns einen schwindelerregenden Blick ins Verkehrsgewühl auf der Straße öffnen. Seine Begeisterung für Le Corbusier, Giacometti und Picasso fand ihren Niederschlag in zahlreichen Serien über diese Künstler. Auch das Entstehen der brasilianischen Hauptstadt Brasilia hat er festgehalten.
René Burri war ein innovativer Fotograf mit ästhetischen Ansprüchen. Und er konnte beweisen, daß journalistisches Arbeiten auch über das Tagesgeschehen hinaus Bedeutung haben können. Trotz seiner umfangreichen Berichterstattung aus Krisen- und Kriegsgebieten hat er auf Schockfotos verzichtet, was ihn zu einer Ausnahmeerscheinung macht.
Seine Arbeiten, die als wichtige Zeit-Dokumente gelten, wurde mehrfach mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet. Sein rund 30.000 Fotografien umfassendes Archiv hat René Burri dem Museum Elysée von Lausanne vermacht.

LeseTipps: Bücher von und über René Burri

Quellen

Alle Porträts:

Cuba: Tamara Bunke, Julio Antonio Mella,
Fotografie: René Burri, Harry Callahan, Henri Cartier-Bresson, Frank Hurley, Anna Kahn, André Kertész, Saul Leiter, Joel Meyerowitz, Anja Niedringhaus, Joel Sternfeld, Weegee,
Hamburg: Albert Ballin, Gabriel Riesser,
Island: Snorri Sturluson, Victor Urbancic,
Kanalinseln: Elizabeth II., Sir Walter Raleigh,
Korsika: Napoleon I. Bonaparte, Joseph Fesch,
Mecklenburg-Vorpommern: Otto Lilienthal, Wilhelm Malte I.,
Norwegen: Johan Halvorsen, Anne Holt, Richard With,
Reisende-Abenteurer: James Cook, Rudolf Carl Slatin Pascha,
Sizilien: Maria Carolina, Friedrich II.,
Toskana: Sandro Botticelli,
USA: John Steinbeck,

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