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Weegee (Uscher/Arthur Fellig),
amerikanischer Fotograf

* 12. Juni 1899 Zloczow bei Lemberg/Galizien/ Österreich-Ungarn;
† 26. Dezember 1968 New York City/NY/USA

Er war der Bildchronist einer gewalttätigen Zeit, aber er fotografierte auch die Lebensfreude der Menschen und gab den Randgruppen der Gesellschaft ein Bild.

Jugend

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Weegee, The Genius of the Camera,
ca. 1938
Foto © Weegee/International Center of Photography
(mit freundlicher Genehmigung)

Geboren in eine jüdische Familie nahe Lemberg, bezeichnete Uscher Fellig seine Herkunft immer als „öster­reichisch”. Lemberg war damals eine Garnisonsstadt am östlichen Rand der österreichisch-ungarischen Monarchie und die Hauptstadt Galiziens. Mit dem Ende der Donaumonarchie fiel Lemberg an Polen und erhielt wieder den polnischen Namen Lwów. Heute ist Lwiw (ukrainische Bezeichnung) eine ukrainische Provinzstadt.
1906 verschlechtert sich die Lage der jüdischen Bevölkerung Lembergs. Die Eltern Rachel und Bernard Fellig entschließen sich, zusammen mit ihren vier Kindern Elias, Usher, Rachel und Philip in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Der Vater reist voraus und kann 1910 die Familie nachholen. Von der Einwanderungsbehörde auf Ellis Island erhält Usher den neuen Vornamen Arthur sowie eine Orange und eine Banane (Usher hatte nie zuvor diese Früchte gesehen, und der Beamte mußte ihm zeigen, wie man sie schält und ißt) - aber er ist nicht im Paradies gelandet, wie er zunächst glaubt. Denn das Immigrantenleben in einem Mietshaus an der Lower East Side, Manhattan, ist geprägt von Armut, Hunger und Kälte. Die Familie mit nunmehr sieben Kindern (Molly, Jack und Henrietta sind in den USA geboren) lebt mehr schlecht als recht von den Gelegenheitsjobs des Vaters. Der Vater ist kein Geschäftsmann, und als die Kinder selbständig sind, erfüllt er sich den Wunsch seines Lebens: er geht in die Synagoge zurück und wird Rabbi.

Fotografie ist sein Leben

Mit 14 verläßt Arthur, obwohl er ein guter Schüler ist, die Schule und beginnt zu arbeiten, um das Familieneinkommen etwas aufzubessern. 1917 zieht er mit 18 Jahren von zuhause aus, übernachtet in Viertel-Dollar-Herbergen oder Bahnhöfen und Nachtasylen, schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch, bis er 1918 endlich den ersehnten Job in einem fotografischen Studio erhält. 1924-27 arbeitet er als Fotolaborant bei Acme Newspictures (später Untited Press International Photos). Er hilft als Fotoreporter aus, bei Katastrophenfällen und nachts, wenn die Agenturfotografen nicht verfügbar sind oder die Redakteure nicht die teueren Überstunden bezahlen wollen. Es ist die Zeit des Stummfilmkinos und der Prohibition, der Gangsterkriege, Morde auf offener Straße, Auftritte von Stars, des ausschweifenden Nachtlebens, die Arthur Fellig und seine Bilder entscheidend prägen wird.
Und Arthur spielt Geige. Mit fünfzehn hat er sich eine Geige um fünf Dollar gekauft. Er nimmt einmal die Woche Unterricht im Gemeindehaus, in dessen Orchester er auch spielt.

„In meinem Leben und in meinen Träumen war die Geige fast genauso wichtig wie die Photographie.” (Weegee, Weegee's New York)

Es war die Stummfilmzeit, und er spielt am Abend in einem Kino an der Third Avenue. Er spielt mit den Gefühlen des Publikums, und für jede Lebenslage hat er Standardstücke in seinem Repertoire. Der aufkommende Tonfilm beendet dann seine Musikerkarriere.

Aus Arthur Fellig wird Weege

1935 verläßt er Acme und wird freiberuflicher Fotograf. Schwerpunkt wird seine Berichterstattung rund um die Polizeistation von Manhatten, spezialisiert auf Verkehrsunfälle, Brände, Gewaltverbrechen. Ein erster Durchbruch gelingt ihm 1935 mit den Axtmördern von New Jersey: ein Liebespaar, das die Mutter des Mädchens, die sie beim Liebesspiel ertappt hatte, mit der Axt erschlug. Seine Bilder dieses Paares bringen es auf die Titelseite der Herald Tribune, und LIFE widmete ihm einen Artikel.

Signaturstempel von Weegee
Der Stempel, mit dem der Fotograf Weegee (Arthur Fellig) seine Bilder signierte

1938 erhält er als erster Pressefotograf die offizielle Genehmigung, in seinem Auto ein Polizeifunkgerät zu in­stal­lieren:

„Ich hatte Flügel bekommen. Ich brauchte nicht mehr zu warten, bis das Ver­brechen zu mir kam; ich konnte zu ihm kommen. Der Polizeifunk gab meinem Leben Halt und Orientierung.” (Weegee, Mord ist mein Geschäft)

Aus dem Pressefotografen Arthur Fellig wird die Marke Weege, geklaut von dem Brettspiel „Quija” („Widschi” ausgespro­chen), bei dem es um Instinkt und Vorhersehung geht. Und auf der Rückseite seiner Fotos findet sich nun der Stempel: „Credit Photo by Weegee the Famous”.
In den Jahren zwischen 1935 und 1947 entsteht Weegees berühmtes und unverwechselbares fotografisches Werk. Nacht für Nacht ist er unterwegs, im Kofferraum seines Autos befindet sich eine improvisierte Dunkelkammer. Manchmal entwickelt er seine Bilder auch im Führerstand der Hochbahn, immer bestrebt, der Erste mit Bildern in den Redaktionen zu sein. Und dank des Polizeifunkgeräts ist er auch immer der Erste am Tatort, bei einer Katastrophe, einer Verhaftung, einem Selbstmord. Rund 5.000 Fotoreportagen machen Weegee zum berühmtesten Bildchronisten dieser gewalttätigen Epoche der Depression.

Logo PM1940-1945 ist er freier Mitarbeiter der neu gegründeten, linksgerichteten Tageszeitung PM Daily, herausgegeben von Ralph Ingersoll, in der keine Anzeigen erscheinen und die auf magazinartigem Papier gedruckt wird, was zu einer besseren Druckwiedergabe der Fotografien beiträgt. Für die Zeitung schreiben Autoren wie Dashiell Hammett oder Dorothy Parker, Journalisten wie Erskine Caldwell, Frank Hewlett, Theodore Seuss Geisel, Ernest Hemingway als Korrepondent, Fotografen wie Margaret Bourke-White, David Eisendrath oder Helen Levitt. Weegee befindet sich also in guter Gesellschaft, seine Fotos werden um fünf Dollar gekauft, egal, ob sie gedruckt werden oder nicht. Die Bedingung ist nur, daß er sie zuerst PM anbieten muß. Dort erscheinen neben seinen bekannten Aufnahmen der Gewalt auch die Bilder, die seine andere Seite zeigen. Denn Weegee ist nicht nur ein Chronist der Gewalt. Er fotografiert auch das Panorama einer Gesellschaft, die geprägt ist von sozialen Gegensätzen - Opernbesucher neben Bettlern, Transsexuelle neben Fanatikerinnen der Heilsarmee, Revuegirls neben einsamen Nachtschwärmern.

Seine Bilder haben Erfolg, werden von der Herald Tribune, Daily News, Daily Mirror, New York Post, Sun, World-Telegram und Journal-American gedruckt. 1941 folgt die erste Ausstellung in der Photo League in New York, „Weegee: Murder is my business”, das Museum of Modern Art kauft einige seiner Fotografien. 1945 veröffentlicht er sein erstes Buch, „Naked City”. Das Buch erscheint in sechs Auflagen und wird ein enormer Erfolg. 1946 folgt „Weegee's People”, Weegees Blick auf die Stadt, die er liebte, ohne Verbrechen, Gewalt, Feuer und Unfälle. Es war nicht annähernd so erfolgreich wie „Naked City”, aber Weegee beschließt dennoch, seine Laufbahn als Pressefotograf zu beenden.

Vom Bildchronisten zum Fotografen

Filmplakat Naked City
Filmplakat zu „Naked City”

1947 geht Weegee nach Hollywood, um Mark Hellingers Verfilmung von „Naked City” zu überwachen. Er spielt kleinere Rollen in verschiedenen Filmen: einen Straßenfotografen („The Naked City”, 1948; dt. „Die nackte Stadt”/„Stadt ohne Maske”), einen Presse­fotografen („Every Girl Should Be Married”, 1948; dt. „Jedes Mädchen müßte heiraten”), einen Zeitrichter bei einem Boxkampf („The Set Up”, 1949; dt. „Ring frei für Stoker Thompson”, BRD / „Verbrechen im Boxring”, Österreich), einen Taxifahrer („The Yellow Cab Man”, 1950; dt. „Der Unglücksrabe”) und einen Faulpelz in einem Unterschichtviertel („Journey into Light”, 1951) - Figuren, die Weegee von seinen Fotografien vertraut ware. 1952 kehrt er nach New York zurück und beginnt, mit verschie­denen fotografischen Linsen zu experimen­tieren, arbeitet mit Spiegelungen und Verzerrungen, was zu seiner Serie „Distortion” führt: fotografische Porträts berühmter Personen, die in der verzerrten Optik wie Karikaturen erscheinen. Diese Bilder waren, ebenso wie sein Buch „Naked Hollywood”, nur mäßig erfolgreich.
In den 1950er-Jahren reist Weegee durch Rußland und Europa, befasst sich mit Buch-, Ausstellungs- und Filmprojekten. Im Dezember 1968 stirbt er in seinem Haus in der 47. Straße in Manhatten, in dem er seit 1957 mit Wilma Wilcox (†1993) lebte. Sie war auch die Verwalterin seines Nachlasses, den sie kurz vor ihrem Tod dem International Center of Photography übergab.

Der Chronist einer Ära

Weegee ist der Bildchronist des Jahrzehnts, das am Höhepunkt der Wirtschaftskrise begann und mit dem V-Day am Ende des Zweiten Weltkriegs endete. Es war die Ära, in der zu Beginn Männer um Arbeitsplätze und am Ende für ihr Land kämpften. Er dokumentierte die Gewalt in New York, die Bandenkriege, die Katastrophen, die Toten und die Lebenden, die auf den Tod blicken. Mit seiner 4x5 inch Speed Graphic Kamera und den neu entwickelten Blitzlampen gelangen ihm Bilder von im Blut liegenden Gangstern, von Großbränden, die ganze Familien obdachlos machten. Diese Bilder zeigen die Rohheit, den Schmutz und die Gewaltbereitschaft des Lebens in Manhattan. Weegee war hier einerseits der Voyeur, der aus der Sensationsgier Kapital schlug. Und andererseits war er ein Betroffener, der selbst in seiner Kindheit auf der Lower East Side in so ein Leben hätte hineingezogen werden können.
Aber es gibt auch den anderen Weegee, der die Menschen fotografierte, die New York liebten wie er selbst, die die Stadt als Arena ansahen, in der sie ihr Leben und ihre Leidenschaften zum Ausdruck brachten: die Massen am Wochenende in Coney Island; die Liebenden vereint im Schutz einer mondlosen Nacht; Samstag­nachmittags­vorstellungen im Zirkus mit den lachenden Gesichtern der Kinder; junge Verliebte, die sich im Dunkel des Kinos vor Beobachtung sicher glaubten; Sonntage in Harlem, um die Ostermesse zu feiern. Bilder aus dem Leben und von Menschen, die sich in der Wirtschaftskrise bemühen, sich am Leben zu erfreuen und ihre Sorgen zu vergessen.
Und es gibt noch einen dritten Weegee, der sich mit den Fragen befasste, die anderswo nicht angesprochen wurden: Transsexuelle und Transvestiten - damals ein strafbares Delikt; Rassendiskriminierung und die Trennung von Schwarzen und Weißen im Theater; die nationalistischen Tendenzen während des Zweiten Weltkriegs. Es sind Bilder von der sozialen Diskriminierung und Ungleichheit in der kapitalistischen Gesellschaft, die er einfängt, oft durch ein konterkarierendes Schild oder eine Neonschrift im Hintergrund. Diese Bilder mögen nicht die ideologische Wucht der Arbeiten von Walker Evans, Dorothea Lange und anderer Fotografen der Farm Security Administration haben, aber sie werfen ein vergleichbares Licht auf die Probleme der urbanen Gesellschaft Amerikas.
Weegee stammte aus den Reihen derjenigen, die er vor allem fotografierte. Damit konnte er aus dieser Zeit der Depression und der Umbrüche Bilder für das kollektive Gedächtnis schaffen, vielleicht nicht von ganz Amerika, aber sicher vom New York der 1940er-Jahre.

„Ich hatte die berühmten Bilder eines berüchtigten Jahrzehnts gemacht, Bilder, die all die großen Zeitungen mit ihrem Riesenapparat nicht machen konnten und mir abkaufen mußten. Ich hatte die Seele der Stadt fotografiert, die ich in- und auswendig kannte und die ich liebte.” (Weegee, Weegee's New York)

Weitere Informationen

Verzeichnis der Ausstellungen

 

BuchTipps: Bücher von und über Weegee

Alle Porträts:

Cuba: Tamara Bunke, Julio Antonio Mella,
Fotografie: René Burri, Harry Callahan, Henri Cartier-Bresson, Frank Hurley, Anna Kahn, André Kertész, Saul Leiter, Joel Meyerowitz, Anja Niedringhaus, Joel Sternfeld, Weegee,
Hamburg: Albert Ballin, Gabriel Riesser,
Island: Snorri Sturluson, Victor Urbancic,
Kanalinseln: Elizabeth II., Sir Walter Raleigh,
Korsika: Napoleon I. Bonaparte, Joseph Fesch,
Mecklenburg-Vorpommern: Otto Lilienthal, Wilhelm Malte I.,
Norwegen: Johan Halvorsen, Anne Holt, Richard With,
Reisende-Abenteurer: James Cook, Rudolf Carl Slatin Pascha,
Sizilien: Maria Carolina, Friedrich II.,
Toskana: Sandro Botticelli,
USA: John Steinbeck,

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