
304 Seiten, ISBN: 978-3-453-28135-6
München: Ludwig Verlag, 2020
Bewertung

Rezension
Vier Monate Nacht, dreizehn Menschen, Temperaturen bis -80°C, Sauerstoffmangel - und keine Möglichkeit, der Isolation zu entkommen.
Die österreichische Ärztin Carmen Possnig hat es gewagt. Sie reiste im Auftrag der Europäischen Weltraumorganisation ESA in die Antarktis und verbrachte, gemeinsam mit 12 anderen, ein Jahr in der französisch-italienischen Forschungsstation Concordia
in der Region Dome C, 3.233 Meter über dem Meeresspiegel. Die Ganzjahres-Station liegt 600 Kilometer von der Küste entfernt auf dem antarktischen Kontinent. Rund 4,5 Stunden Flugzeit mit der Twin Otter. Im Nirgendwo. Einsamer ist nur noch die russische Station Wostok
- der kälteste Ort der Erde.
In der Sommersaison - November bis Anfang Februar - leben hier bis zu 80 Menschen, in der Wintersaison bis zu 13 Winteroverer. Der Frauenanteil ist gering. Erforscht werden die Auswirkungen der langen Dunkelheit, des Sauerstoffmangels und der Höhe, der totalen Isolation bei einem Mangel an äußeren Reizen.
Wir schweigen kurz, während wir realisieren, dass der Winter schwieriger werden könnte, als wir uns eingestehen wollen. Dass das kein Spaziergang wird. Wir sind sehr bald eingesperrt mit zwölf Menschen, die wir kaum kennen, wissen nicht, wie wir selbst darauf reagieren werden, in einer Station inmitten einer lebensbedrohlichen Umgebung, ohne Möglichkeit, einander zu entkommen, aufeinander angewiesen, 600 Kilometer von den nächsten Menschen entfernt.
Quasi ein Versuchslabor für Marsreisen. Dazu gibt es noch meteorologische und klimatische Forschungen.
Schlafmangel, Müdigkeit, Stress sind die täglichen Begleiter und wirken sich natürlich auf das Sozialleben aus. Es gibt rituelle Feiern wie Midwinter, Sonnenuntergang, Weihnachten, aber auch spontane Veranstaltungen wie Geburtstage und anderes. Und es zeigt sich, wie Menschen unterschiedlich auf die extremen äußeren Umstände reagieren. Die Überwinterung verändert alle, ohne daß sie sich das vorher vorstellen konnten.
Fazit: Der Reisebericht von Carmen POSSNIG zeigt ein Bild der Antarktis weit neben den Erlebnissen einer Expeditions-Kreuzfahrt. Sehr anschaulich und informativ, durchaus spannend - und natürlich etwas geglättet. Niemand wird vorgeführt oder negativ dargestellt. Beschreibungen früherer Antarktis-Expeditionen werden eingestreut, auch um den Unterschied zu dem heutigen Verhältnissen spürbar zu machen.
Ergänzt wird der Bericht von einem beeindruckenden Bildteil, der das Geschilderte vorstellbar macht. Unbedingt lesenswert!
Hinweis:
Ähnlich beschreibt Robert SCHWARZ seine 15 Überwinterungen auf der Amundsen-Scott Basis der USA.
Eine sehr ähnliche Schilderung einer Überwinterung, allerdings in Romanform, bietet der Thriller The dark von Emma HAUGHTON.
Letztendlich sind wir 13 bedeutungslose Figuren in einer lichtlosen Eiswelt, an einem Ort, an dem Orkane geboren werden und die Kälte über allem thront. Nichts in dieser Landschaft erinnert daran, dass wir uns immer noch auf der Erde befinden. Selbst die Sternbilder sind fremd. Zugleich wird mir bewusst, dass dieses Gefühl, anstatt Furcht einflößend zu sein, beinahe wohltuend ist. Tief atme ich die kalte Luft ein, den Blick noch auf den Himmel gerichtet, und marschiere weiter.