Buchtipp : Norman MAILER, Die Nackten und die Toten. (Rezension)

Norman MAILER, Die Nackten und die Toten.

USA/Pazifik-Krieg/Weltkrieg 2/Roman/

 Norman MAILER: Die Nackten und die Toten.
Norman MAILER: Die Nackten und die Toten.   Neu 
(The Naked and the Dead., 1948)
700 Seiten, ISBN: 978-3-7844-6045-1
München: LangenMüller, 2014
Bewertung
Bewertung: 4 Sterne

Rezension

Der Pazifik-Krieg und die USA - ein amerikanisches Soziogramm.
Der Rahmen der Handlung ist die Eroberung der fiktiven Pazifikinsel Anopopei (wahrscheunlich Guadalcanal) 1942/43. Im Zentrum stehen die Soldaten eines Aufklärungszuges:
- Sergeant Sam Croft, der Zugsführer, der den Zug als sein Eigentum betrachtet und ihn mit eiserner Härte führt, von seinen Männern gefürchtet und respektiert - aber ein fähiger Soldat.
- Sergeant Julio Martinez, der Kundschafter der Truppe, wird als ihr fähigster Soldat beschrieben und trägt den Spitznamen „Japskiller“. Aber er schämt sich seiner mexikanischen Herkunft.
- Sergeant William Brown, der dritte Unteroffizier im Zug, ist ein leutseliger, freundlicher All American Boy, aber traumatisiert von den Kämpfen.
- Woodrow Wilson, ein als fröhlicher, übertrieben sorgloser Frauenheld geschildert, stammt aus einfachen Verhältnissen. Er neigt zu kleinen Gaunereien und Verantwortungslosigkeit.
- Red Valsen, ein schwedischstämmiger Bergarbeitersohn, ist einer der älteren und erfahrenen Soldaten der Gruppe. Er zeigt nihilistische Züge, eine starke Bindungslosigkeit und Gleichgültigkeit.
- Jack Gallagher ist ein mürrischer, sehr gläubiger Katholik irischer Herkunft, Mitglied einer reaktionären politischen Gruppe und hat antisemitische Ansichten, was zu Konflikten mit den Juden im Zug führt.
- Joey Goldstein stammt aus armen jüdischen Verhältnissen (nur wenige Juden sind reich), ist freundlich, gutherzig und gutgläubig. Er hat mit antisemitischen Ressentiments zu kämpfen. Auch in den USA war (und ist) Antisemetismus gegenwärtig.
- Casimir „Polack“ Czienwicz, ein amoralischer Charakter, war schon in seiner Jugend in der organisierten Kriminalität in Chicago tätig.
- Oscar Ridges, der Sohn eines armen Farmers, ist Analphabet und sehr gläubig. Aber der Krieg läßt ihn an Gott zweifeln.
- Roth, der älteste im Trupp, hatte trotz guter geistiger Anlagen nie eine einträgliche Stelle und bedauert stets, nicht mehr aus seinem Leben gemacht zu haben.
Während die Soldaten den unteren Schichten der amerikanischen Gesellschaft entstammen (was auch im Vietnamkrieg durchaus üblich war), kommen die Offiziere aus der gehobenen Mittelschicht:
- der kommandierende General Edward Cummings entstammt einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie des mittleren Westens, hat unterdrückte homosexuelle Neigungen. Als brillanter und rücksichtsloser Stratege behandelt er die einfachen Soldaten bewusst schlecht, denn er hält den Hass auf die Offiziere für leistungsfördernd. Demokratische und kommunistische Ansichten kennt er, lehnt sie aber ab und hat eine Neigung zum Faschismus.
- Lieutenant Robert Hearn, lange Zeit Adjutant des Generals, entstammt ebenfalls einer wohlhabenden Familie des mittleren Westens und verfügt über sehr gute geistige Anlagen. Ohne feste Weltanschauung leidet er unter der Tatsache, dass er in seinem bisherigen Leben trotz seiner Herkunft und seiner unbestreitbaren Fähigkeiten noch kein ihn innerlich ausfüllendes und befriedigendes Leben zustande gebracht hat. Der General glaubt, in ihm eine verwandte Seele zu finden - wird ihn aber enttäuscht zum Aufklärungszug abkommandieren.
Es war etwas Unzulängliches und Unerreichbares an Hearn, was Cummings immer gereizt und auf besondere Weise verwirrt hatte. Ein Loch da, wo ein Mensch sein sollte. In diesem Augenblick wünschte er heftig, so sehr, daß sich seine Zähne aufeinanderpreßten, irgendein Gefühl in Hearn zu erregen. Frauen würden gewünscht haben, Liebe in ihm zu erwecken, aber ihm selbst war darum zu tun, Hearn angst- und schamerfüllt zu sehen, und sei es nur für einen Augenblick.
Der Kern des Romans - der allerdings erst im letzten Drittel erreicht wird - ist der Auftrag für den Aufklärungszug unter Lieutenant Hearn, die Lage auf der Insel hinter den japanischen Linien zu erkunden. Cummings will die Japaner in einer Zangenbewegung besiegen. Aber es kommt alles anders... Und bei der Rückkehr zu ihrer Einheit erfahren die Überlebenden, dass ihr übermenschlicher Einsatz völlig umsonst war.
Fazit: Norman MAILER geht es in diesem etwas schwer zu lesenden Roman nicht um Schlachten oder den Krieg an sich. Er zeichnet ein Bild der unteren Schichten Amerikas, die mit allem Mut und Einsatz immer übrig bleiben - im Leben, im Militär, in der Gesellschaft. Während sich die Offiziere nur für ihre Karriere interessieren - und für ihre Position nach Ende des Krieges. Es gibt wohl kaum einen (Kriegs-)Roman, in dem die Leiden des Krieges für den Einzelnen so deutlich und umfassend thematisiert wird. Und auch die amerikanische Überzeugung, jeder können es schaffen, wenn er nur fleißig genug sein, zerbröselt an der Realität.
Aber es ist auch ein Roman, der in Umfang und Aufbau altmodisch wirkt und heute ncht mehr so geschrieben werden könnte. Heute würde man wohl die ersten 400 Seiten auf 50 Seiten eindampfen... Aber wer sich durchkäpft, wird mit Erkenntnissen belohnt.

Ringsum waren sie vom Dschungel umgeben, von Dämmerung und vom Rauschen des Wassers, von den Geräuschen und Gerüchen der tiefsten Dschungelwildnis. […] Ihre Gewehre glitten ihnen allmählich von der Schulter und rutschten fast ins Wasser, und ihre Füße versanken im ekelerregenden Flussschlamm. Ihre Hemden wurden vom Schweiß genau so durchnässt wie ihre Hosen vom Wasser. Sie schwitzten nicht nur vor Ermüdung und wegen der dumpffeuchten Luft, sondern auch vor Angst. Der Fluss leistete so heftigen Widerstand, als sei er ein lebendiges Wesen, das sich knurrend um ihre Füße wälzte. Ihre Hände, aufgerissen von den Dornen und messerscharfen Blättern, begannen zu bluten, und das Gewicht ihrer Rücksäcke wurde immer drückender.

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