
(V2., 2020)
368 Seiten, ISBN: 978-3-453-27209-5
München: Heyne, 2020
Bewertung

Rezension
November 1944. Die alliierten Truppen sind gelandet und rücken unaufhaltsam vor, Belgien ist bereits befreit. Aber die Nazis geben nicht auf. Wernher von Braun hat die Wunderwaffe
des Führers entwickelt: Eine 15 Meter hohe Rakete, mit einer Tonne Sprengstoff beladen, die mit Überschallgeschwindigkeit fliegt und vom Radar nicht geortet werden kann. Es ist die V2, die Vergeltungswaffe 2, die aus Rache auf London abgefeuert wird. Ohne militärischen Wert, denn der Krieg ist praktisch verloren.
Rudi Graf, Freund und Studienkollege von Wernher von Braun, hat die Rakete mitentwickelt. Sein Traum war, mit einer Rakete zum Mond zu fliegen. Und jetzt überwacht er als leitender Ingenieur im holländischen Scheveningen Start und Funktionsfähigkeit der V2, die sehr fehleranfällig ist. Zunächst sechs, dann zur Hebung der Moral vom Nationalsozialistischen Führungsoffizier gefordert, zwölf Raketen sollen täglich auf London abgefeuert werden.
Kay Caton-Walsh ist Offizier bei den WAAFs, der weiblichen Hilfstruppe der Air Force. In Danesfield House, einem beschlagnamten Herrenhaus in Marlow, arbeitet sie in der Luftaufklärung. Sie hat in London zwei V2-Angriffe miterlebt. Als sich ihr die Möglichkeit bietet, läßt sie sich in die belgische Kleinstadt Mechelen, wo eine spezialisierte Truppe versucht, den Abschußort der V2 zu lokalisieren.
Robert HARRIS, der sich in seinen Romanen (Enigma, München) immer wieder mit dem Kampf Englands gegen das nationalsozialistische Deutschland befasst, hat hier ein fundiertes Stück Geschichte in einem fiktionalen Roman ausgebreitet. Während er in Vaterland, seinem Debütroman, noch ein Alternativweltszenario mit einem deutschen Sieg beschreibt, bleibt er nun auf dem Boden der Geschichte.
Fazit: Es ist eine Geschichtsstunde mit dem realen Wernher von Braun, der seinem Traum, Rakenten zu bauen und zum Mond zu fliegen, alles unterordnet und sich den Traum schließlich mit den Amerikanern verwirklicht. Und es ist die Geschichte deutscher Skrupellosigkeit, die Vergeltungswaffe 2
gegen England, das er nicht erobern konnte, einzusetzen - militärisch sinnlos war sie nur noch Rache und Terror. Dabei starben in London etwa 2700 Menschen, 6500 wurden verletzt, 20.000 Häöuser zerstört und 580.000 beschädigt. Und etwa 20.000 Zwangsarbeiter starben beim Bau der V2.
Graf hatte neben dem Starttisch gestanden, das Gesicht dem Himmel zugewandt, die Arme ausgebreitet und die eigene Auslöschung auf sich herabgewünscht.
Komm her, du Bastard! Komm nach Hause zu Papa!
Das war nichts als theatralisches Getue. Er wusste das. Entweder würden der Ostwind, der schon den ganzen Tag wehte, oder die Winde in der Stratosphäre, die bis zu zweihundert Stundenkilometer erreichen konnten, ihre Rückkehr zur Erde beeinflussen. Das war das Absurde an den britischen Bemühungen, mittels Extrapolation der parabolischen Flugbahn den Startplatz berechnen zu wollen. Die Kreiselinstrumente und die Ruder kämpften gegen die Natur, um sie auf Kurs zu halten. Aber ohne elektrische Hilfe mittels Funksignal konnte die Rakete niemals exakt auf Kurs bleiben.