
(Munich., 2017)
430 S., ISBN: 978-3-453-27143-2
München: Heyne, 2017
Bewertung

Rezension
Chamberlain und der Versuch des Friedens.
Es sind die entscheidenden Tage im September 1938. Der britische Premierminister Neville Chamberlain kommt aus Deutschland mit einem Ultimatum Hitlers zurück: Wird das Sudetenland nicht übergeben, wird er in 24 Stunden den Krieg erklären und einmaschieren. Das aber bedeutet, daß Frankreich als Bündnispartner und damit in weiterer Folge England hineingezogen werden.
»Was für ein Tag uns wohl bevorsteht«, sagte er leise. »Ich würde mich sofort an die Wand da drüben stellen und erschießen lassen, wenn ich damit den Krieg verhindern könnte.«
Aber Chamberlain gelingt es, einen weiteren Aufschub zu erreichen und ein Treffen mit Hitler, Mussolini und Daladier in München zu arrangieren. Dort wird er Hitlers Forderung zustimmen, das Sudetenland zu besetzen, und die Tschechoslowakei zur Annahme dieser Vereinbarungen zwingen (Münchner Abkommen). Dieser Versuch, einen Krieg durch Nachgeben (Appeasement-Politik) zu verhindern, hat langfristig keinen Bestand. Er lässt Chamberlain als einen schwachen Politiker erscheinen.
In Chamberlains Gefolge befindet sich Hugh Legat aus dem Außenministerium als sein Privatsekretär. Er hat von seinem früheren Freund und Studienkollegen in Oxford, Paul von Hartmann, die Bitte erhalten, ein Treffen mit Chamberlain zu arrangieren. Von Hartmann arbeitet für das Auswärtige Amt in Berlin, wirkt aber bei einer diffusen Widerstandsgruppe mit, die einen vagen Plan zur Beseitigung Hitler hat. Er will Chamberlain einen geheimen Kriegsplan Hitlers übergeben.
Fazit: Das sehr spannende und faktenreiche Buch wirkt wie ein Versuch, die Appeasement-Politik Chamberlains zu rechtfertigen oder zumindest verständlich zu machen. Chamberlain wollte einen Krieg unter allen Umständen verhindern, weil ihm die Folgen bewußt waren. Allerdings schätzte er Hitler falsch ein. Dieser wollte den Krieg in jedem Fall, um im Osten Lebensraum für die Deutschen zu gewinnen.
Der Plot mit den zwei früheren Freunden, die nun einander gegenüber stehen und nicht wissen, inwieweit sie einander noch vetrauen können, ist leider etwas dünn und kostet den 5. Stern, den das Buch sonst verdient hätte. Und wie schon in Vaterland zeigt sich auch in diesem Roman, daß sich ein Engländer Diktatur und Nazideutschland nicht wirklich vorstellen kann.
Hitler warf den Pressespiegel auf die Couch und ging zu seinem Schreibtisch. Zum zweiten Mal war von Hartmann mit ihm allein. Aus der Diele drangen Geräusche herein. Er schob die Hand in die Innentasche. Die Fingerspitzen berührten Metall. Sofort zog er sie wieder zurück. Es war absurd. In den nächsten Sekunden würde er verhaftet werden - trotzdem war er nicht fähig zu handeln. Und wenn schon er nicht handeln konnte, wer dann? In der Sekunde, einem Augenblick der Klarheit, erkannte er, dass niemand, nicht er, nicht das Heer, nicht ein einzelner Attentäter, dass kein Deutscher ihr gemeinsames Schicksal aufhalten konnte, bevor es sich erfüllt hatte.