Buchtipp : Carmen KORN, Töchter einer neuen Zeit. (Rezension)

Carmen KORN, Töchter einer neuen Zeit.

Hamburg/Roman/

 Carmen KORN: Töchter einer neuen Zeit.
Carmen KORN: Töchter einer neuen Zeit.
Die Jahrhundert-Trilogie 1
555 Seiten, ISBN: 978-3-463-40682-4
München: Kindler, 2016
Bewertung
Bewertung: 4 Sterne

Rezension

1919-1948 - die schweren 50 Jahre.
Der Erste Weltkrieg ist zu Ende, eine neue Zeit scheint anzubrechen. Vier junge Frauen wollen, alle 1900 geboren, die Veränderungen nützen:
- Henny, die bei ihrer verwitweten Mutter lebt, möchte nicht mehr nur Krankenschwester sein, sondern Hebamme an der Hamburger Frauenklinik Finkenau werden. Eigentlich will sie Karriere machen und keine Kinder. Aber sie heiratet zu schnell und etwas unüberlegt;
- Käthe wohnt mit ihrem invaliden Vater und ihrer Mutter gegenüber von Henny, die sie überredet, mit ihr die Hebammenausbildung zu machen. Sie ist politisch am meisten interessiert und hofft, mit der KP die Nationalsozialisten aufhalten zu können;
- Lina, die mit ihrem jüngeren Bruder Lud zusammen lebt, seitdem ihre Eltern für sie verhungert sind. Sie will als Lehrerin den sozialen Aufstieg schaffen und kümmert sich um ihren etwas verträumten Bruder, der Henny heiraten wird;
- Ida, höhere Tochter aus einem wohlhabenden Haus. Verliebt in den Chinesen Tian, aber ohne Mut, sich für ihn zu entscheiden. Statt dessen wird sie auf Wunsch ihres Vaters einen wohlhabenden, älteren Bankier Campmann heiraten, um den gewohnten Status zu behalten.
Der Roman beginnt als leichte, unterhaltsame Emanzipationsgeschichte von vier Frauen, die - jede auf ihre Art - die herkömmliche Frauenrolle und ihre Zwänge überwinden wollen. Die historischen Ereignisse - u.a. der Hamburger Oktoberaufstand der Kommunistischen Partei 1923, der Hamburger Blutsonntag 1932 oder die Zerstörung Hamburgs durch die Operation Gomorrha der Alliierten Luftstreitkräfte - bleiben Hintergrundfolie und schlagen doch voll durch. Der vorwiegend sachliche, eher wenig empathische Stil erinnert an den Roman von Mechtild Borrmann.
"Dass Irrsinn zur Gewohnheit werden konnte. In den Keller gehen. In den Bunker. Luftschutz. Schutz vor dem, was aus dem Himmel fiel. Bomben. Verdrängten sie das nicht an jedem Tag, an dem es ruhig blieb?
Söhne, Brüder, Väter in die Züge setzen, ihnen hart gekochte Eier mitgeben, Butterbrote und Radieschen, Reiseproviant, um an die Front zu fahren.
Und hoffen, dass sie wiederkämen. Heil, wenigstens am Leib, wenn schon nicht an der Seele.
Was waren sie doch für eine betrogene Generation, die zwei Weltkriege erleben musste. Die es nach dem ersten hatte besser machen wollen und dennoch daran gescheitert war, den zweiten der Kriege zu verhindern."
Fazit: Obwohl die historischen Ereignisse nur en passant zu geschehen schein, gelingt Carmen KORN mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus eine beklemmende Verdichtung. Man spürt das heraufziehende Unheil und ahnt, was passieren wird - oder passieren könnte. Beeindruckend, wie dieser zunächst leichte Roman an Gewicht gewinnt.

Sie kamen um vier Uhr morgens. Sturmriemen unter dem Kinn. Die Pistolen an der Lederkoppel. Gummiknüppel in den Händen. Hamburger Schupos, die das schmutzige Geschäft der Staatspolizei vollstreckten.
Käthe und Rudi waren aus dem Bett gesprungen und hatten nach ihren Kleidern gesucht, als es Sturm an der Tür klingelte. Käthe stand noch im Unterrock, da wühlten sie schon in den Schränken, stülpten Schubladen um, warfen Kartons auf den Boden und ließen den Inhalt herausplatzen.
[...]
Käthe verstand nicht, warum Rudi auf einmal den Mantel anhatte. Dass er hinausgestoßen wurde in den regnerischen allzu frühen Novembermorgen. Er drehte sich um zu ihr, doch sie ließen keine Umarmung, keinen Abschied zu.

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