Buchtipp : Henrik SIEBOLD, Inspektor Takeda und der leise Tod. (Rezension)

Henrik SIEBOLD, Inspektor Takeda und der leise Tod.

Hamburg/Krimi/

 Henrik SIEBOLD: Inspektor Takeda und der leise Tod.
Henrik SIEBOLD: Inspektor Takeda und der leise Tod.
Harms-Takeda 2
320 S., ISBN: 978-3-7466-3300-8
Berlin: Aufbau Verlag, 2017
Bewertung
Bewertung: 4 Sterne

Rezension

Ein einjähriger Junge wird vom Balkon geworfen.
Der Osdorfer Born ist eine Problemsiedlung in Hamburg. In den zwanzigstöckigen Gebäuden wohnen die "bildungsfernen" Schichten und Türken - die Abgehängten und Aussortierten, die kaum eine Chance haben und denen auch niemand eine geben will. Der Junge war stark vernachlässigt, aber das Jugendamt hatte keinen Grund gesehen, ihn der Mutter und ihrem Lebensgefährten, der nicht der Vater war, wegzunehmen. Und der Lebensgefährte, voll auf Drogen (Crystal Meth), behauptet zwar, den Jungen geliebt zu haben, gibt aber zu, ihn vom Balkon geworfen zu haben. Fall gelöst.
Einige Tage später wird der bekannte Internet-Guru Markus Sassnitz vor seiner Wohnung in der HafenCity überfahren. Ein Unfall. Seltsamerweise war er nackt. Eine Schnittwunde weist darauf hin, daß ihm die Kleidung vom Leib geschnitten wurde. Also doch eher kein Unfall. In seiner Wohnung wird eine beträchtliche Menge Crystal Meth gefunden - war er auch als Dealer tätig?
Crystal Meth, eine total enthemmende synthetische Droge, wird immer mehr zum Problem in Hamburg. Die Polizei steht vor einem Rätsel. Sie kann weder die Herkunft klären, noch kann sie herausfinden, wie die Droge verkauft wird. Auch die örtlichen Drogenbosse sind verunsichtert.
Martin Sassnitz, der durch den Verkauf einer Internet-App sehr reich geworden war, war an einem Hamburger Start-Up beteiligt. Dieses wollte einen Fahrerdienst für Leute anbieten, die im eigenen Wagen zu einem Lokal gefahren waren, aber dann wegen des Alkoholspiegels nicht mehr selbst nach Hause fahren konnten. Verbarg sich hier vielleicht ein Vertriebskanal für Crystal Meth?
Inspektor Kenjiro Takeda, Mitarbeiter der Mordkommission in Tokio und auf Erfahrungsaustausch in Hamburg, glaubt hier die entscheidende Spur gefunden zu haben. Seine deutsche Kollegin Claudia Harms hat eher die Witwe im Verdacht. Diese aber gefällt Takeda mit ihrer Affinität zu Japan. Sich auf eine Beziehung einzulassen ist definitiv keine gute Idee.
Nebenbei verhandelt Siebold eine zentrale Lebensfrage: Wird man vom Strom des Lebens wie ein Holzstück getrieben, unfähig, eine Richtung zu bestimmen? Oder soll man versuchen, sein Leben aktiv zu gestalten? Und kann man das überhaupt? Oder ist es nicht einfach besser, die Dinge geschehen zu lassen - weil man sie in Wirklichkeit ja nicht ändern kann? Eine durchaus philosophische Auseinandersetzung, die sich gut an den unterschiedlichen Herangehensweisen in Japan und Deutschland aufzeigen lässt.
Fazit: Henrik Siebolds zweiter Krimi um den japanischen Inspektor ist weitaus stringenter angelegt als sein Erstling. Der Protagonist (und sein Autor) haben sich haben sich in Hamburg und der deutschen Mentalität eingelebt. Die Wahrnehmung Deutschlands durch einen mentalitätsmäßig Anderen, die japanische Sicht auf deutsche Verhaltensweisen ist durchaus amüsant und schlüssig. Aber auch die Sicht des Japaners auf seine Heimat wird von dessen neuen Erfahrungen verändert. Sowohl das Bild über Deutschland, das Takeda mitbrachte, als auch sein Blick auf Japan, müssen neu definiert werden. Siebold gelingt es, mit japanischen Augen zu schauen.

Takeda war sich nicht sicher, wofür das Bild des Flusses stand, wer diese anderen Mächte waren. Verbarg sich dahinter der Buddha, die Shintö-Götter, der Kreislauf aus Leben, Tod und Wiedergeburt? Oder war es einfach die Gesellschaft in all ihren Facetten, Eltern, Schule, Universität, Arbeitgeber. Sie alle gemeinsam gaben den Menschen das Gefühl, dass ihr Leben ohnehin nicht den eigenen Wünschen und Vorstellungen gehorchte. Der richtige Platz im Leben wurde einem zugewiesen. Es war am besten, sich einfach zu fügen und die Dinge laufen zu lassen.
Das war nicht einmal etwas Schlechtes. Der Einzelne war ein Teil des großen Ganzen. Wie könnte er es sich anmaßen, selbst über sich entscheiden zu wollen, vielleicht sogar gegen den Willen der anderen?
Aber es gab einen Punkt im Leben - auch im Leben eines Japaners -, an dem er vielleicht merkte, dass es nicht genügte, sich einfach treiben zu lassen.

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