Buchtipp : Riccardo BACCHELLI, Die Mühle am Po. (Rezension)

Riccardo BACCHELLI, Die Mühle am Po.

Emilia-Romagna/Roman/

 Riccardo BACCHELLI: Die Mühle am Po.
Riccardo BACCHELLI: Die Mühle am Po.
(Il mulino del Po., 1940)
831 S, ISBN: 3-608-95465-1
Stuttgart: Klett-Cotta, 1988
Bewertung
Bewertung: 4 Sterne

Rezension

Hundert Jahre Geschichte von unten, aus der Perspektive der "kleinen Leute".
Lazzaro Scacerni ist Pionier bei den italienischen Truppen, die an Napoleons Rußlandfeldzug teilgenommen haben. 1812 befinden sie sich auf dem Rückzug, und ein sterbender Hauptmann überläßt Lazzaro einen Schuldschein. Lazzaro gelingt es, in seinen ferrarische Heimat am Po zurückzukehren. Jahre später kann er den Schuldschein einlösen und die Ware, die vermutlich aus einem Kirchenraub stammt, verkaufen. Mit der Erlös läßt er eine Mühle bauen und wird Müller am Po.
Er heiratet und bekommt einen Sohn, der jedoch einen schlechten Charakter hat, nicht Müller werden will, sondern sich mit Getreidehandel beschäftigt. Lazzaro rettet bei einer Überschwemmung die junge Cecilia und ihre Mühle und nimmt sie wie eine Tochter auf. Sein Sohn heiratet Cecilia und hat mit ihr sechs Kinder.
Die Geschichte der Familie Scacerni ist eng verwoben mit den historischen Ereignissen und politischen Bewegungen im Fürstentum Ferrara, einem päbstlichen Legat, und in Venetien, das noch österreichisch ist. Der Po bildet die Grenze. Aber auch die Staatswerdung Italiens spielt ebenso hinein wie die Entstehung von Arbeiterverbänden und ihre Auseinandersetzung mit den Landbesitzern. Diese Abschnitte des Romans sind ohne gute Kenntnisse der italienischen und der Lokalpolitik teilweise schwer zu lesen. Auch die starke Verankerung im Katholozismus ermüdet manchmal.
Fazit: Riccardo Bacchelli ist hier ein außergewöhnlicher Roman gelungen. Er zeigt auf, welche Auswirkungen die in den fernen Bürokratien getroffenen Maßnahmen auf die Betroffenen haben (etwa die Mahlsteuer). Er verdeutlicht, daß die Ziele sozialer Widerstandsbewegungen nicht immer das Wohl derer im Auge haben, in deren Namen sie zu handeln vorgeben. Und er schildert Lebensentwürfe, deren Armseligkeit und Begrenzheit man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Ein umfangreicher, anspruchsvoller und teilweise mühsam zu lesender Roman. Aber obwohl er oft altmodisch wirkt, sollte man sich das Buch nicht entgehen lassen.

Das Rindvieh im Stall begann, als es gegen Morgen den Hunger stärker spürte, zu brüllen, und er ging, nach ihm zu sehen und die Krippen zu füllen. Er hatte das Gefühl, als zeige er sich damit noch der guten Hausfrau gefällig, die ihm nun niemals mehr einen solchen Befehl erteilen würde. Und während er die Gabel handhabte, liefen ihm die Tränen aus den Augen. Er war alt geworden, und er dachte daran, wie er noch jung war, als Dosolina in das Haus zu Padrone Lazzaro gekommen war, die junge Braut, blond wie Weizen und mit Kornblumenaugen.
Und jetzt auf einen Schlag fand er, daß er alt und müde geworden war. Er stand allein auf der Welt und dachte an soviel vergangene Dinge zurück. Und die Augen wurden ihm von Tränen verschleiert, von wenigen nur, und sie glichen dem Tau des Frühlings, der das Gras und die weiche Saat und die Gräben, an denen der Weißdorn steht, mit Silber bedeckt.

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