Buchtipp : Walter KEMPOWSKI, Tadellöser & Wolff. (Rezension)

Walter KEMPOWSKI, Tadellöser & Wolff.

Mecklenburg-Vorpommern/Rostock/Weltkrieg 2/Roman/

 Walter KEMPOWSKI: Tadellöser & Wolff.
Walter KEMPOWSKI: Tadellöser & Wolff. Ein bürgerlicher Roman.
(zuerst 1971), 476 S., ISBN: 3-446-11375-4
München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1975
Bewertung
Bewertung: 4 Sterne

Rezension

Aufstieg und Leben im Nationalsozialismus und im Krieg, betrachtet aus der Perspektive eines Heranwachsenden. Walter Kempowski betrachtet sich und seine Familie.
Erfreulicherweise bleibt er konsequent bei dieser Perspektive und versucht nicht, die Erfahrung des Erwachsenen auf den Heranwachsenden zu übertragen. So geht es um eine Kindheit in Rostock, man ist ganz gut situiert. Eine bürgerliche Familie, der Vater Reeder und Kaufmann, die Mutter Hausfrau, ältere Schwester und Bruder. Walter ist ein bißchen das Nesthäkchen, Mutters Peterpump.
Die Nazis werden von den Erwachsenen wohlwollend betrachtet, weil Hitler scheinbar Deutschland seine Größe zurückgibt und die Schmach des Ersten Weltkriegs tilgt. Für die Kinder sind sie Teil des Alltags, man spielt Aufmärsche und später Schlachten mit Halma-Männchen.
Der Bruder Robert und seine Freunde genießen ihr Leben, hören Jazz, was niemanden kümmert. Mit Kriegsbeginn wird er Flakhelfer, sein schlechtes Sehvermögen erspart es ihm bis knapp vor Kriegsende, eingezogen zu werden. Die Schwester muß zunächst den Arbeitsdienst in einer Fabrik absolvieren, kann aber dann studieren, heiratet einen Dänen und geht mit ihm nach Dänemark.
Der Vater hat im Ersten Weltkrieg gedient und möchte auch jetzt seine Pflicht erfüllen. Wegen eines Leidens wird aber auch er erst spät eingezogen. Zunächst im Hinterland eingesetzt, gelangt er erst spät an die Front (die schon fast im Hinterland angekommen ist) und wird zum Hauptmann befördert.
Walter ist ein schlechter Schüler, auch die Lernhilfe kann das Wissen nicht erfolgreich in ihn hineinprügeln. Natürlich ist er bei der HJ, doch gelingt es ihm mit zahllosen Ausreden, den Dienst meist zu vermeiden. Mit anderen Jugendlichen zieht er durch Rostock, trägt die Haare zu lang, einen weißen Schal, und schwindelt sich in Filme, für die er zu jung ist. Knapp vor Kriegsende, als die Kinderkompagnien aufgestellt werden, wird auch er eingezogen und wird als Melder mit wichtigen Meldungen oder Besorgungen durch das zerbombte Deutschland geschickt. Alles wie ein Spiel, nicht wirklich ernst.
Die Schilderungen bleiben immer distanziert, ob es nun die Bombennächte, die HJ, die Meldertätigkeit, die Beziehung zu Schwester und Bruder sind. Kempowski nimmt die Rolle des Außenstehenden ein, des Beobachters, durchaus humorvoll und pointiert, aber nie engagiert. Das Verhältnis zur Familie, die Beziehung zu Schwester und Bruder bleiben ohne Empathie. Und auch das Kriegsende ist letztlich nur der Wechsel von einem Zustand zu einem anderen: Ich ging nach vorn und kuckte aus dem Fenster, da stand ein Motorrad mit Beiwagen, ein Russe drauf. ... Eigentlich hätte man ja hinunterlaufen müssen und sie begrüßen. 'Hurra' schreien oder 'Bravo'. Lieber oben bleiben, die wären gewiß furchtbar wütend auf uns.
Fazit: Walter Kempowski zeigt bereits in seinem ersten Roman, daß er in erster Linie Chronist ist, erst dann Schriftsteller und Erzähler. Obwohl er das gut kann. Tadellöser & Wolff.

Meine Schwester aß saure Gurken und trank dazu lauwarmes Wasser. Sie steckte ihren Ratzefummel ins Füllfederetui und riß den Reißverschluß zu.
"Nun tu mir die Liebe und melde dich schön", sagte meine Mutter und reichte ihr das blaue Oktavheft, in das sie zuvor gewisse notwendig gewordene Eintragungen gemacht hatte.
Ich mußte meine Kalktabletten nehmen und einen Löffel Lebertran.

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