Buchtipp : Andrea CAMILLERI, Streng vertraulich. (Rezension)

Andrea CAMILLERI, Streng vertraulich.

Sizilien/Faschismus/Roman/

 Andrea CAMILLERI: Streng vertraulich.
Andrea CAMILLERI: Streng vertraulich.
( Il nipote del Negus., 2010)
262 S., ISBN: 978-3-312-00468-3
München: Nagel & Kimche, 2011
Bewertung
Bewertung: 4 Sterne

Rezension

Sizilien, der Faschismus und der Duce.
Ein neuer Schüler soll in der Bergbauschule in Vigàta aufgenommen werden. Allerdings ist er nicht irgendwer, sondern ein Neffe des äthiopischen Kaisers Negus Haile Selassie. Und er ist ein Schwarzer, was den Rassevorstellungen der Faschisten zuwiderläuft. Aber der Duce, der die Expansion seiner afrikanischen Kolonien plant, sieht in dem Kaiserneffen eine Chance, den Negus für seine Pläne zu gewinnen.
Wofern das Außenministerium sein Placet zur Einschreibung geben sollte, obliegt es mir, nochmals Eure Aufmerksamkeit auf die Tatsache zu lenken, dass der junge Äthiopier zwar Prinz, doch gleichwohl Neger ist und bleibt. Ein Neger unter einer Schülerschaft von weißen Jungen, die von herrlichem, unermüdlichem faschistischen Eifer beseelt sind.
Es entsteht eine umfangreiche Korrespondenz in der Angelegenheit zwischen dem Außenministerium, dem Innenministerium, der Präfektur, dem Polizeikommissariat und der Direktion der Bergbauschule. Auch der Bischof von Montelusa ist eingebunden.
Bei der Ankunft in Vigàta erregt der Prinz Aufsehen durch seine schäbige Kleidung, für die er einen Diebstahl im Zug verantwortlich macht. Zwar will niemand die Kosten übernehmen, aber auf Befehl des Duce wird der Prinz entsprechend teuer ausgestattet und erhält eine beträchtliche monatliche Unterstützung. Der Duce drängt auf einen Brief des Neffen an den äthiopischen Kaiser und seine Reise nach Rom, wo er die Verhandlungen mit Gesandte unterstützen soll. Und der Prinz lässt sich alle Handlungen teuer abgelten.
Fazit: Andrea CAMILLERI zeigt hier meisterhaft die Scheinheiligkeit des Faschismus und die Verschlagenheit seiner Anhänger auf. Wenn es darauf ankommt, wird die Größe der faschistischen Idee schnell den Niederungen des Alltags geopfert. Wie in einigen anderen seiner Romane reißt CAMILLERI auch hier gnadenlos die Fassade der besseren Menschen ein. Interessant ist auch die Wahl seines Romanformats: keine direkte Handlung, alles spielt sich in der Korrespondenz und in Gesprächen ab. Damit wird in diesem amüsanten Buch die authentische Dummheit zwischen Farce und Tragödie dieser Epoche deutlich. Mit faschistischem Gruß!

Wie könnt Ihr Euch erlauben, in Eurem fehlerstrotzenden Brief zu schreiben, «Eurer Meinung nach wäre es am besten»?
Ihr dürft absolut niemals irgendeine Meinung äußern, Ihr seid ein einfacher Parteisoldat, der nichts weiter zu tun hat, als blind den empfangenen Befehlen zu gehorchen!
Und auch dieser Neger, ob Prinz oder nicht, soll es nie wieder wagen, dem Duce Ratschläge zu erteilen!
Der Entwurf für den Brief, den dieser Scheißneger an den Negus schreiben soll, ist einfach lächerlich.
Wenn er bezahlt werden will, werden wir ihn bezahlen.

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