Buchtipp : Isabelle AUTISSIER, Herz auf Eis. (Rezension)

Isabelle AUTISSIER, Herz auf Eis.

Antarktis/Südgeorgien/Roman/

 Isabelle AUTISSIER: Herz auf Eis.
Isabelle AUTISSIER: Herz auf Eis.
(Soudain, seuls., 2015)
224 Seiten, ISBN: 978-3-86648-256-2
Hamburg: marebuchverlag, 2017
Bewertung
Bewertung: 5 Sterne

Rezension

Warum sind sie nicht gegangen?
Louise und Ludovic sind ein junges Paar aus Paris, etwa um die Dreißig. Sie stammen aus guten Verhältnissen und wollen noch einmal das Leben spüren, ein Abenteuer erleben, bevor sie sich im Alltag einer Beziehung verlieren. Ludovic ist Kundenberater bei einer Evenagentur. Er sieht die Dinge immer positiv, strahlt Lebensfreude aus. Louise ist eine zierliche, fast unscheinbare Erscheinung, der ihre Eltern und Brüder kaum jemals Aufmerksamkeit schenkten. Sie war immer nur "die Kleine", und nach einer unauffälligen Jugend geht sie in den öffentlichen Dienst und nimmt eine Stelle im Finanzamt des 15. Arrondissements an. Nur Bergsteigen ist ihre Leidenschaft, dort kann sie sich beweisen, wird sie geschätzt. Aber sie wagt es nicht, eine Stelle als Bergführerin anzustreben.
Ludovic ist Segler, und nach langen Überlegungen und Diskussionen beschließen sie, ein Freijahr zu nehmen und um die Welt zu segeln. Zunächst einen Atlantiktörn über das Kletterparadies Patagonien nach Südafrika.
"Vielleicht hätte Louise es merken können, denn sie sind genau an dem Punkt angelangt, der beim Klettern als gefährlich gilt; man weiß genug, um alles zu wagen, aber nicht genug, um alles zu meistern."
Mit jedem Tag wächst die Erfahrung. Und da liegt auf der Überfahrt nach Südafrika die verbotene Insel mit dem geheimnisvollen See in der Antarktis, dem sie eine Besuch abstatten wollen: Stromness. Sie landen bei Sonnenschein bei der alten Walfangstation. Aber auf dem Weg zum See schlägt das Wetter um. Der aufkommende Sturm verhindert, daß sie zu ihrem Schiff zurückkehren. So müssen sie in den verfallenen Gebäuden Schutz suchen. Am nächsten Morgen ist der Sturm vorbei - und ihr Schiff verschwunden. Sie werden mit den wenigen Ressourcen, die die verfallene Station bietet, versuchen müssen, zu überleben und auf die unwahrscheinliche Rettung zu hoffen. Denn niemand weiß, wo sie sind, und der Ort ist abgelegen.
Wie verhält man sich in einer deartigen, eigentlich hoffnungslosen Extremsituation, sich selbst und dem Anderen gegenüber? Ist die Liebe stark genug, um diese Belastungen auszuhalten? Und ab wann überwiegt der Selbsterhaltungstrieb? Das sind die Fragen, die Isabelle Autissier im ersten Teil des Romans, Dort, verhandelt. Und eine erschreckende, und doch konsequente Lösung findet.
"Louise bleibt lange sitzen, wie betäubt, schaut zu, wie eine weiße Sonne aufgeht und das Zimmer flutet. Die Luft ist derart kalt, dass in den Strahlen nicht das kleinste bisschen Staub tanzt, und da ist diese Stille, die Stille des Schnees draußen, die Stille dieser Gestalt auf dem Bett, die Stille, die sie innerlich durchströmt.
Schließlich steht sie auf, nimmt den Rucksack, den sie gestern nicht geschafft hat auszupacken, und verlässt das Zimmer."
Wer hier Realität sucht, wird vielleicht enttäuscht sein. Denn Stromness ist keine verbotene, verlassene Insel, sondern eine ehemalige Walfangstation in Südgeorgien. Ein beliebter Anlandungsplatz der Kreuzfahrtschiffe und jener Ort, an dem Sir Ernest Shakleton Rettung fand. Nur der Zutritt zur Walfangstation ist verboten. Aber es geht nicht um die Realität, sie ist nur der Hintergrund für die Geschichte, die sich in den Protagonisten, vor allem in Louise, abspielt. Beide wissen, daß sich, ein paar Buchten entfernt, eine Forschungsstation befindet. Aber zu keiner Zeit machen sie den Versuch, dorthin zu gelangen, zu Fuß oder mit dem Beiboot. Warum sind sie nicht gegangen?
Fazit: Eigentlich geht es nicht um das Überleben in der Antarktis. Es ist vielmehr die Geschichte von Louises Emanzipation, ihrer Selbstfindung und schließlich Eigenständigkeit. Am Ende des zweiten Teils, Hier, wird sie nicht mehr die Kleine sein. Sondern endlich eine junge Frau, die unabhängig ist und ihr Leben selbst gestaltet. Ein bewegender Roman!

Louise hat keine Lust zu spielen. Sie hat zu nichts mehr Lust. Sie ist nicht mehr der tapfere kleine Soldat. Sie kann sich nicht mehr bemühen. Das hat sie ihr ganzes Leben lang getan, und wie man heute sieht, war alles umsonst. Ludovic macht sie rasend mit seiner gemimten guten Laune. Sie weiß, dass sie ihn eigentlich bemitleiden sollte, versuchen müsste, ihm das Leben zu erleichtern, denn sie ist in besserer Verfassung, aber sie verspürt eine Gleichgültigkeit, für die sie sich schuldig fühlt. In manchen Augenblicken empfindet sie ihm gegenüber sogar blanken Hass, ebenso unkontrolliert wie unerklärlich. Ihr kommen bissige Antworten über die Lippen auf seine Spaße, aber sie will nicht mehr streiten, wie es früher üblich zwischen ihnen war.

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