Buchtipp : Simone BUCHHOLZ, Mexikoring. (Rezension)

Simone BUCHHOLZ, Mexikoring.

Hamburg/Krimi/

 Simone BUCHHOLZ: Mexikoring.
Simone BUCHHOLZ: Mexikoring.
Chas Riley 8
247 S., ISBN: 978-3-518-46894-4
Frankfurt: Suhrkamp, 2018
Bewertung
Bewertung: 4 Sterne

Rezension

Autos brennen.
Wahllos, in vielen Städten der Welt. Auch in Hamburg. Allerdings sitzt in dem brennenden Fiat am Mexikoring - eine Straße durch ein wenig gefälliges Büroviertel - noch der Fahrer. Und als ihn die Feuerwehr herauszieht, lebt er noch. Warum hat er sich nicht selbst befreit, einfach die Tür geöffnet? Es waren K.-o.-Tropfen, wie die Autopsie ergibt.
Nouri Saroukhan, der Tote, war Angehöriger eines Clans der Mhallamiye, einer arabischsprachigen Volksgruppe aus der Türkei und dem Libanon. Als Bürgerkriegsflüchlinge breiteten sie sich ab 1976 in Deutschland und anderen europäischen Staaten aus und dominierten bald die organisierte Kriminalität: Autodiebstähle, Drogen, Schutzgeld oder Prostitution. Mit ihren geschlossenen Strukturen, die tatsächlich auf Verwandtschaft beruhen, sind sie für die Polizei praktisch nicht kontrollierbar. Frauen haben keinen persönlichen Wert, sie werden einfach gekauft und benutzt. Liebe ist nicht einmal ein Wort.

"Dinara, die älteste Schwester, war Anfang des Jahres verschwunden, die anderen sagten, sie hätte geheiratet, aber Aliza glaubte ihnen das nicht, denn es hatte kein Fest gegeben, nur diese eine Nacht, in der ein Cousin da gewesen ist, den Aliza noch nie zuvor gesehen hatte. Er hat Dinara mit in die Kammer am Ende des Flurs genommen. Dinara hat nicht geschrien oder so, aber Aliza hat sie wimmern hören, und sie wusste, dass der Cousin ihr weh tut. Als er fertig war, hat er Mohamed, dem ältesten Bruder, einen Umschlag gegeben, und dann hat er Dinara mitgenommen."

Nouri war anders. Er brach aus der Familie aus, wurde zu Abtrünnigen. Sein Tod interessier die Familie nicht. Aber hat sie ihn getötet, weil so ein Verhalten nicht hingenommen werden kann?
Simone BUCHHOLZ konfrontiert uns hier mit einer extrem bedrohlichen und fremdartigen Gesellschaft. Die Staatlichen Gesetze werden nicht anerkannt, soziale Interaktioon ist verwandtschaftlich determiniert. Sie schafft Vertrauen und reduziert damit die gesellschaftliche Komplexität, wie der deutsche Soziologe Niklas Luhmann feststellte.
Fazit: Ein banales und doch unerwartetes Ende. Chastity Rileys Privatleben bleibt, abgesehen von ihrem unmäßigen Zigaretten- und Alkoholkonsum, weitgehend ausgeblendet - auch weil das bekannte Personal teilweise abhanden gekommen zu sein scheint. Natürlich legt die Autorin nicht eine soziologische Untersuchung vor, sondern einen Kriminalroman, in dem diese Themen - Liebe, Vertrauen, Parallelgesellschaften - nur einen kleinen Raum einnehmen und gerade angerissen werden. Trotzdem beachtlich!

»Es gibt Menschen aus manchen Gebieten des Nahen Ostens«, sagt Baumann, »für die ist unser ganzes Getue um Humanismus und Respekt vor dem Individuum ein Rätsel, die haben damit nichts am Hut, die wissen gar nicht, was das soll, das existiert nicht. In ihrer Welt zählt das Kollektiv, der Stamm, die Familie, das ist wichtig. Der einzelne Mensch, ein Mann, eine Frau, ein Kind, Gefühle, Bedürfnisse, das hat alles keinen großen Wert, niemand hat je gelernt, darauf Rücksicht zu nehmen. Also gibt es auch kein Mitgefühl für das, was einem Individuum passiert..«

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