Buchtipp : Gerd KOENEN, Traumpfade der Weltrevolution. (Rezension)

Gerd KOENEN, Traumpfade der Weltrevolution.

Tamara Bunke/Ernesto Che Guevara/Fidel Castro/Biografie/

 Gerd KOENEN: Traumpfade der Weltrevolution.
Gerd KOENEN: Traumpfade der Weltrevolution. Das Guevara-Projekt.
602 S., ISBN: 978-3-462-04008-1
Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2008
Bewertung
Bewertung: 4 Sterne

Rezension

Anhand der Biografie von Ernesto "Che" Guevara liefert Gerd Koenen eine umfassende und materialreiche Studie zu den Befreiungsbewegungen des 20. Jahrhunderts in Asien, Afrika und Lateinamerika. Cuba und der ebenfalls umfassend dargestellte Fidel Castro waren oft die Betreiber und Unterstützer dieser Bewegungen. Diese eigenen Interessen mußten in einem politischen Hochseilakt gewahrt werden, ohne gleichzeitig die Cuba am Leben erhaltende Sowjetunion zu sehr zu vergrämen. Und gleichzeitig mußte vermieden werden, in die Schere des Schismas der beiden kommunistischen, aber tödlich verfeindeten Blöcke UdSSR und China zu kommen.
Koenen geht es darum, den Mythos Guevara zu decouvrieren, die Person und die Gedankenwelt herauszuschälen. Ches Verständnis der Welt und seine theoretischen Grundlagen beruhen auf dem Kanon der marxistischen Literatur: Marx, Stalin, Trotzky, Mao, um nur einige zu nennen. Stark geformt wurde diese Gedankenwelt von den "Gesängen" Pablo Nerudas. Die Vorstellung vom "Neuen Menschen" entstammt auch dem Roman "Wie Stahl gehärtet wurde" von Nikolai Ostrowski.
Die von Che vertretene Fokus-Theorie, nach der die Revolution in Cuba die Vorlage für die Befreiungskriege in Afrika, aber vor allem in Lateinamerika darstelle ("die Anden sind die Sierra Maestra Lateinamerikas"), hat sich jedoch als nicht haltbar erwiesen. Che scheiterte mit ihr im Kongo und ging mit ihr in Bolivien unter. Das allerdings tat seiner mystischen Überhöhung keinen Abbruch. Stark beteiligt an der Legendenbildung war Fidel Castro, der unter diesem Mythos das Engagement Cubas an den Befreiungsbewegung elegant beenden und entsorgen konnte. Die von ihm mitbetriebene Ikonisierung Che Guevaras machten diesen zum Poster in den Wohnzimmern der 68er-Bewegung und zum Plakat der Demonstrationen, während die Ideen, für die Che stand, zunehmend in Vergessenheit gerieten.
Die andere mystische Person im Kampf gegen den US-Imperialismus ist Tamara Bunke (Tania la Guerrillera), die mit Che in Bolivien scheiterte. Geboren und aufgewachsen in Argentinien kam sie als Jugendliche in die DDR. Von dort gelangte sie als junge Frau unter nicht ganz geklärten Bedingungen nach Cuba, das sich gerade von der Invasion in der Schweinebucht erholte. Ihre noch aus der DDR resultierende Bekanntschaft mit Che und ihr Engagement führten zu ihrer Rekrutierung als Agentin, die schließlich den Einsatz Ches in Bolivien vorbereitete und - aus ebenfalls nicht geklärten Gründen - selbst daran teilnahm.
Fazit: Che, Fidel und Tamara bilden das Dreieck, innerhalb dessen Gerd Koenen Geschichte, Idee und Scheitern der antiimperialistischen Befreiungskämpfe vor allem Lateinamerikas beleuchtet. Besonders wertvoll ist seine schonungslose Kritik und das Freilegen aller Irrtümer, weil er vom SDS 1967 bis zu den maoistischen Zirkeln und Parteiinitiativen der 70er Jahre das volle Programm des linksradikalen Aktivismus absolviert hat. Dabei hat er sich eine profunde Kenntnis der entsprechenden linken Literatur angeeignet und kann damit einen präzise Analyse und Geschichte der linken Bewegungen liefern. Nur in den letzten Kapitel fällt er fast dem Mystizismus seiner Figuren zum Opfer.

Wenn das Reden von einer »Weltrevolution« damals ganz kleine Münze war, dann weil sich in dieser Periode - etwa zwischen der Kuba-Krise 1961/62 und dem Ende des Vietnam-Kriegs Mitte der 70er Jahre - mehrere machtvolle historische Tendenzen überkreuzt und eine Springflut akuter Heils- und Unheilserfahrungen produziert haben. Das waren zum einen Jahre eines weltwirtschaftlichen Booms, der alle früheren Modernisierungs- und Entwicklungsschübe in den Schatten stellte und den Nachgeborenen der Weltkriege vollkommen neue Lebensmöglichkeiten eröffnete. Aber es waren zugleich auch Jahre am Abgrund einer tödlichen atomaren Konfrontation. Wenn das kleine Kuba für kurze Zeit ins Auge dieses Zyklons rückte, dann hatte das nicht nur mit den hysterisch übersteuerten Rivalitäten der beiden Großmächte und Militärblöcke im »Kalten Krieg« zu tun, sondern ebenso mit den Kämpfen und Konvulsionen einer sich befreienden »Dritten Welt«, für die Havanna zum neuen weltrevolutionären Mekka wurde.

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