Buchtipp : Rebecca HUNT, Everland. (Rezension)

Rebecca HUNT, Everland.

Antarktis/Roman/

 Rebecca HUNT: Everland.
Rebecca HUNT: Everland.
(Everland., 2014)
410 Seiten, ISBN: 978-3-630-87463-0
Mainz: Schott Musikverlag, 2017
Bewertung
Bewertung: 4 Sterne

Rezension

Die gespiegelten Expeditionen.
Im März 1913 brechen drei Männer von der Kismet im Beiboot Joseph Evelyn auf, um die neuentdeckte Insel Everland zu erforschen: der erste Offizier Napps, der Matrose Millet-Bass und der Geologe Dinners. Aus der geplanten vierstündigen Überfahrt wird durch einen schweren Sturm eine sechstägige Odyssee, bei der sie Vorräte und die Orientierung verlieren. Dinners, dessen Nutzen für die Expedition Napps immer bezweifelte, erkrankt und wird zur Belastung. Aber mit Glück gelangen sie am sechsten Tag doch nach Everland. Aber die Kismet trifft nicht, wie vereinbart, zwei Wochen später ein, um sie wieder abzuholen. Und so müssen die Männer ihr Überleben im nahenden Winter planen.
Rund 100 Jahre später, im November 2012, startet eine Erinnerungs-Expedition mit Decker, dem Expeditionsleiter, Jess, der Feldassistentin und Brix, der Wissenschaftlerin. Ähnlich wie Dinners stellt sich auch Brix sehr ungeschickt an und ist völlig unerfahren. Die Chemie zwischen ihr und der robusten Jess passt nicht, und Decker muß mit beiden zurechtkommen. Es ist eine moderne Expedition mit allen technischen Hilfsmitteln des 21. Jahrhunderts. Aber trotzdem wird auch sie in Schwierigkeiten geraten, denn die Antarktis ist kein Lebensraum für Menschen.
Der Roman wechselt immer zwischen diesen beiden Zeitebenen und spiegelt in gewisser Weise den Verlauf der beiden Expeditionen. Aber wie schon in dem beeindruckenden Roman Herz auf Eis von Isabelle Autissier bildet die Antarktis den Hintergrund für das Handeln und Denken von Menschen in einer Ausnahmesituation, in der das eigene Überleben nicht mehr gesichert ist. Genügt dann die dünne Schicht der Zivilisation über den archaischen Instinkten?
»Es gibt nichts, was ich nicht tun würde, um zurückzukehren, nichts, womit ich nicht leben könnte, wenn es mich nur nach Hause bringt.«
Ähnlich wie bei Autissier spielt auch hier der Kampf von zwei Aussenseitern - Dinners und Brix - um Anerkennung und Selbstbestimmung eine wesentliche Rolle - mit zwei unterschiedlichen Ergebnissen.
Fazit: Rebecca Hunt ist hier ein eindringliches Porträt von Menschen in einer lebensbedrohlichen Ausnahmesituation gelungen. Die hundert Jahre zwischen den Ereignissen haben zwar die technischen Möglichkeiten erweitert, aber nicht unbedingt das humanistische Denken: Im Zweifel gibt es keine Alternative.

Dinners gab ein langes, tonloses Stöhnen von sich und blies den Atem in den Kragen seiner Jacke. Er rieb sich die Beine und drückte die Finger zusammen, bis er so weit aufgetaut war, dass er sein Gurtzeug abnehmen konnte. ... Zum Glück hatte die Kälte ihn jeglicher Beschreibung von Schmerz oder Qual gegenüber immun gemacht, während der Körper um ihn herum abstarb. Doch nun, im Schutz des Beiboots, weinte und schluchzte er vor Schmerz. Denn was er getan hatte, wurde ihm hier bewusst: Er hatte Napps und Millet-Bass verlassen. Er hatte sie verloren. Er würde sie nie wiederfinden. Und jetzt war er selbst verloren.

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