Buchtipp : Petra OELKER, Das klare Sommerlicht des Nordens. (Rezension)

Petra OELKER, Das klare Sommerlicht des Nordens.

Hamburg/Historischer Roman/

 Petra OELKER: Das klare Sommerlicht des Nordens.
Petra OELKER: Das klare Sommerlicht des Nordens.
411 S., ISBN: 978-3-499-26777-2
Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Polaris, 2014
Bewertung
Bewertung: 4 Sterne

Rezension

Den Träumen folgen.
Dora und Sidonie haben einen Traum. Von einem anderen Leben, einem selbstbestimmten Leben. Aber das ist für Frauen am Beginn des 20. Jahrhunderts nicht vorgesehen, eigentlich nicht denkmöglich. Noch dazu, wenn beide aus völlig unterschiedlichen Schichten kommen.
Dora kommt aus einer Unterschichtfamilie. Nicht von ganz unten, aber fast. Ihre Eltern sind bei der Choleraepidemie 1892 gestorben, sie wird von ihrer Tante Anna großgezogen - glaubt sie. Anna hat Arbeit in einem Speisehaus am Hafen, und so können sie mit ihrem Cousin Theo aus dem Gängeviertel in eine etwas bessere Wohnung in der Neustadt übersiedeln. Dora arbeitet in einer Nähmanufaktur, doch ihr Traum ist, Schneiderin zu werden und eigene Entwürfe umzusetzen. Doch das erscheint unmöglich. Dem Besitzer der Manufaktur erscheinen ihre Entwürfe unpassend für sein Publikum.
Sidonie stammt aus der unteren Oberschicht einer jüdischen Familie. Ihr Gatte ist ein hoher Beamter im Rathaus, ihr Schwiegervater Reeder. Ein an sich weitgehend sorgloses Leben. Aber der erwartete Kindersegen will sich nicht einstellen. Sidonie hatte zwei Fehlgeburten und leidet nun an Depressionen. Sie interessiert sich für das Malen, und zur Aufhellung ihres Gemüts darf sie an einem Malkurs teilnehmen. Danach sieht sie im Malen ihre Bestimmung und träumt davon, in Paris eine Malakademie zu besuchen. Unerhört für eine Frau und für ihre Gesellschaftsschicht.
Dora wird in das Haus Sidonies als Aushilfsnäherin mitgenommen, die beiden Frauen begegnen einander, als Dora ein Bild im Herrenzimmer - einen Monet - bewundert. Aus der Begegnung entwickelt sich eine Vertrautheit und eine Art Freundschaft.
Fazit: Petra Oelker gelingt es, wie schon in ihren früheren Romanen, ein anschauliches Bild Hamburgs des beginnenden 20. Jahrhunderts zu malen. In der Gegenüberstellung der Frauen von eher weiter unten und oben werden die Lebensumstände der verschiedenen Schichten plastisch nachfühlbar. Und auch Hamburg selbst, mit Alsterschiffen und Elektrischer, mit dem Abriß des Gängeviertels und dem Aufbau der Neustadt, mit seiner Herkunft der Bevölkerung aus vielen Ländern und seiner Weltoffenheit, wird erlebbar. Gut recherchiert hebt sich das vorliegende Buch sehr positiv von vielen anderen historischen Romanen ab. Nur das Ende ist vielleicht eine Auflösung mit etwas viel Wohlwollen.

Frau Wartberger - ihr Name war Sidonie, jetzt erinnerte er sich - lauschte einem Straßenmusiker, der, an die steinerne Balustrade der Reesendammbrücke gelehnt, ein Bandoneon spielte. Andere Passanten hörten für einen Moment zu, dann flog eine Münze in den Hut vor den Füßen des Mannes, und sie gingen weiter. Sie hingegen stand einfach da, wie ein Kind versunken in Töne und Bilder, und offenbar ohne Begleitung.
Ihm gefiel, was er sah, und es war doch befremdlich, es schickte sich nicht. Der Gedanke, sie sei ausgerissen, amüsierte ihn. Ihr Gatte war irgendetwas Wichtiges im Rathaus, gewiss nicht Senator, das wäre für einen Juden auch hier unmöglich, aber ein hoher Beamter von Reputation. Ihm würde es kaum gefallen, falls er sie hier sah. Womöglich wurde es ihm gerade zugetragen.

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