Buchtipp : Simonetta AGNELLO HORNBY, Die Mandelpflückerin. (Rezension)

Simonetta AGNELLO HORNBY, Die Mandelpflückerin.

Sizilien/Roman/

 Simonetta AGNELLO HORNBY: Die Mandelpflückerin.
Simonetta AGNELLO HORNBY: Die Mandelpflückerin.
(La Mennulara., 2002)
314 S., ISBN: 3-492-24392-6
München: Piper, 2006
Bewertung
Bewertung: 5 Sterne

Rezension

Der Blick in eine archaische, geschlossene Welt.
Im September 1963 stirbt in der Kleinstadt Roccacolomba Maria Rosalia Inzerilla, Mennulara (Mandelpflückerin) genannt. Als Kind war sie auf den Feldern der Fürsten von Brogli als Mandelpflückerin und Erntehelferin beschäftigt und erhielt mit ihrem Verdienst ihre kranke Mutter und Schwester. Mit dreizehn Jahren kam sie in den Dienst der Alfallipes, die die Verwalter der Güter der Fürsten sind.
Noch unter Orazio Alfallipe übernahm sie der Verwaltung des Familienvermögens, wozu die Familie selbst nicht fähig war, und wurde, obgleich immer Dienstmagd, zur Herrin des Hauses Alfallipe.
Noch nach ihrem Tot gibt sie der Familie Anweisungen bezüglich ihres Begräbnisses. Nur widerwillig erfüllt die zerstrittene Familie die Anweisungen, um endlich an die vermuteten Reichtümer der Mennulara und die Erbschaft zu gelangen, und ruft den Tratsch im Dorf herauf. Auf allen gesellschaftlichen Ebenen versucht man, mehr über die Mennulara zu erfahren, die immer eine schroffe, abweisende und geheimnisvolle Person war. In diesen zahlreichen Gesprächen schält sich das Bild einer mutigen, interessierten, nach Bildung strebenden Person heraus, die aber kaum jemanden an sich heran ließ.
Gerüchte, Fantasien, Missgunst, aber auch Respekt für ihre Fähigkeiten mischen sich in der Erinnerung der Menschen. Aus vielen Bruchstücken und Perspektiven entsteht so die Biografie einer aus dem Rahmen ihrer gesellschaftlichen Position und Zeit fallenden Person. Mit all den Subjektivitäten und Verzerrungen braucht es aber einen ganzen Roman, bis ein Geheimnis enthüllt wird und eine faszinierende Geschichte erzählt werden kann.
Dieser Roman ist eine äußerst gelungene Darstellung sozialer Beziehungen und Geflechte: vom Dienstpersonal bis zu den Herrschaften. Die Geschichte und die Darstellung der Personen entwicklet sich vorwiegend in Dialogen über die Personen. Und sie zeichnet den Verfall der sizilianischen Gesellschaft anhand des Palazzos des nie anwesenden Fürsten über die Unfähigkeit seiner ehemaligen Vermögensverwalter, ihr eigenes Vermögen zu verwalten - die Dienstmagd rettet sie und bleibt doch unbedankt, bis zum Aufstieg der Mafia als Folge dieses Machtvakuums. Sie zeigt die soziale Undurchlässigkeit der Gesellschaft und die Unmöglichkeit, vom vorbestimmten Weg abzuweichen. Die Mandelpflückerin und ein Kommunist weichen ab. Sie im Namen ihrer Herrschaft und nur als ihre Dienerin kann (und will) ihren sozialen Status nicht verändern, und wird real doch die Herrin der Herrschaft. Der Kommunist, der nichts mit der Mandelpflückerin zu tun hat, zeigt Zivilcourage und will Widerstand gegen die Mafia leisten. Er symbolisiert so vielleicht das kommende moderne Italien, obwohl am Ende alle beim Alten bleibt..
Fazit: Simonetta Agnello Hornbys Debutroman ist in seiner erstaunlichen Geschlossenheit und brillanten Konstruktion zurecht ein Bestseller geworden. Er beschreibt ein Sizilien und eine Gesellschaft, die mehr ins 19. denn ins 20. Jahrhundert passt. Und er ist ein Sinnbild dafür, was passiert, wenn die Herrschaft nicht mehr fähig und willens ist, die Herrschaft auszuüben. Letztendlich eine Beschreibung des Scheiterns Süditaliens, des Fehlens der Staatlichkeit als Ursache und des Aufkommens einer eigenen organisierten Kraft als Folge.

Die Erinnerungen bestürmten ihn. Die »Sache«, die das Leben des Sohns verändert und ihm und seiner Frau tiefen Schmerz bereitet hatte, lag nun zweiundvierzig Jahre zurück, doch es war, als wäre es gestern gewesen. Sein Vater war gestorben, als er noch ein junger Bursche war, aber Don Vincenzo hatte viel gelernt und war sehr wohl in der Lage, an seine Stelle als »Landaufseher der Fürsten Brogli«, wie es vor den Behörden hieß, in Wirklichkeit aber als unangefochtener Mafiaboß ihrer sowie der angrenzenden Feudalbesitze der Bürgerfamilien und der Kleinaristokratie zu treten. Mit Fug und Recht war er respektiert und gefürchtet, auch über die Grenzen der Provinz hinaus. Man wußte, daß er ein gestandener, unangreifbarer Mann mit Weitblick war, immer bereit, Neuland zu betreten.

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