Buchtipp : Anne HOLT, Selig sind die Dürstenden. (Rezension)

Anne HOLT, Selig sind die Dürstenden.

Norwegen/Anne Holt/Krimi/

 Anne HOLT: Selig sind die Dürstenden.
Anne HOLT: Selig sind die Dürstenden.
Hanne Wilhelmsen 2
(Salige er de som tørster., 1994)
220 S., ISBN: 3-492-23658-8
München: Piper, 2003
Bewertung
Bewertung: 4 Sterne

Rezension

Die Polizei Oslos ist überlastet und hat zu wenig Personal - eine bedenkliche Situation in einem der reichsten Länder Europas. Eine Serie von Morden an jungen Ausländerinnen, immer an Samstagen ausgeführt, nimmt Kommissarin Hanne Wilhelmsen und ihre Kollegen voll in Anspruch. Und da geht die Vergewaltigung einer norwegischen Studentin, die anstelle des Mordes an einem Samstag stattfand, irgendwie unter. Hanne ahnt zwar einen Zusammenhang, kann ihn aber nicht präzisieren. Und ihre Kollegen ermitteln schlampig.
Nur so ist es wohl zu erklären, daß es sowohl dem Opfer als auch ihrem Vater relativ mühelos gelingt, den Täter vor der Polizei zu identifizieren. Oder doch nicht? Vergewaltigung, die Zerstörung der körperlichen und seelischen Integrität, zählt wohl zum Schlimmsten, was ein Mann einer Frau antuen kann. Aber das sieht die Mehrheit der Männer (und der Polizisten) wohl nicht so. Da schwirren noch immer Vorstellungen wie "die hat das ja provoziert" (durch herausfordernde Kleidung?) oder "in Wirklichkeit hat sie das gewollt" (weil sie sich nicht genug gewehrt hat?) durch die Köpfe. Und die Polizei muß sich um die wichtigen Dinge, wie etwa die Morde, kümmern. Und es gibt zu viele Vergewaltigungen. Und eigentlich ist den Opfern ja nicht so viel passiert, sie wurden ja nicht ermordet.
Hanne Wilhelmsen ist sich der Bedeutung und Dimension einer Vergewaltigung durchaus bewußt, aber auch ihre Möglichkeiten sind begrenzt. Denn als sie den Zusammenhang zwischen den Morden und der Vergewaltigung erkennt und den Täter identifizieren kann, scheint es, als käme sie zu spät.
Anne Holt setzt sich sehr differenziert mit dem Problem von Recht und Gerechtigkeit auseinander, die letztendlich nur zwei Seite einer Münze sind. Wenn die Gesellschaft nicht Gerechtigkeit leisten kann, weil Recht und Gerechtigkeit immer mehr auseinander fallen, dann wird der Einzelne selbst das Recht in die Hand nehmen - und der Grat zwischen Recht und Rache und Gerechtigkeit ist schmal.
Fazit: ein umfangmäßig dünner, krimitechnisch nicht aufregender, aber vom Thema her ein außerordentlich wichtiger Roman.

"Sie konnte sich einfach nicht daran gewöhnen. Die vierundzwanzig Jahre alte Frau, die vor ihr saß und den Boden anstarrte, war Hanne Wilhelmsens zweiundvierzigstes Vergewaltigungsopfer. Sie führte Buch darüber. Vergewaltigung war das Allerschlimmste, anders als ein Mord. Ein wilder, wütender Augenblick, gewaltiger Affekt, vielleicht seit Jahren aufgestaute Aggression. Ein Mord war fast zu verstehen. Eine Vergewaltigung nicht."
"Einen Moment lang drehte Hanne Wilhelmsen sich um und musterte die beiden genauer. Sie empfand keinen Zorn. Nicht einmal Resignation. Nur abgrundtiefe, überwältigende Trauer. Sie sahen genau so aus wie bei der ersten Begegnung in ihrem Büro. Mit einem hilflosen, von Trauer erfüllten Gesichtsausdruck, der bei dem riesigen Mann auffälliger war als bei seiner Tochter. Kristine Håverstad hielt noch immer das Messer in der Hand. Ihr Vater hatte eine Pistole."

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