Buchtipp : Leonardo PADURA, Ketzer. (Rezension)

Leonardo PADURA, Ketzer.

El Conde/Cuba/Havanna/Roman/

 Leonardo PADURA: Ketzer.
Leonardo PADURA: Ketzer.
(Herejes., 2013)
656 S., ISBN: 978-3-293-00469-6
Zürich: Unionsverlag, 2014
Bewertung
Bewertung: 4 Sterne

Rezension

Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben.
Das ist das zentrale Thema, das Padura in diesem Roman - der eigentlich drei Romane ist - umkreist und verhandelt. Da ist im ersten Roman Daniel Kaminsky, der 1939 im Hafen von Havanna auf seine Eltern und seine Schwester wartet. Sie sind an Bord der MS St. Louis, zusammen mit rund eintausend jüdischen Flüchtlingen. Diesen hat das NS-Regime die Ausreise erlaubt, und sie haben in Hamburg kubanische Visa erworben. Doch die kubanische Regierung lässt die Flüchtlinge nicht an Land, verlangt eine zusätzliche hohe Gebühr, die die Flüchtlinge natürlich nicht aufbringen können. Nach einigen Tagen muss das Schiff Havanna verlassen, wird auch von den USA und Kanada abgewiesen. Die Menschen an Bord enden in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern.
Auch die Familie von Daniel wird nicht an Land gelassen, obwohl sie ein Rembrandt-Porträt als Schmiergeld anbieten können. Es scheint, als hätte der Leiter der Passbehörde zwar das Gemälde genommen, aber die Familie nicht an Land gelassen. Denn das Gemälde taucht 2007 bei einer Aktion in London plötzlich auf.
Daniel Kaminsky will nun nicht mehr Jude sein und ein selbstbestimmtes Leben führen. Er heiratet katholisch und bringt es zu bescheidenem Wohlstand. Noch vor der Revolution muß er Cuba verlassen und lässt sich mit seiner Frau in Miami nieder.
Nach seinem Todf fährt sein Sohn Elias nach Cuba. Zum einen, um das Schicksal des Rembrandt-Gemäldes zu erforschen, zum anderen, um dunkle Punkte im Leben seines Vaters aufzuklären. Mario Conde, der vor 20 Jahren den Polizeidienst quitiert hat, soll ihm dabei helfen.
Der zweite Roman spielt im Amsterdam des Jahres 1648. Der junge Jude Elias will unbedingt Maler werden. Aber Juden ist das Malen, ja sogar der Besitz bildlicher Darstellungen, von der Religion her verboten. Die Juden leben zwar in Amsterdam relativ frei und geschützt, aber der Rabbinerrat wacht streng über die Einhaltung der religiösen Vorschriften. Elias gelingt es, bei Rembrandt als Schüler angenommen zu werden. Er sagt sich innerlich vom Judentum los, aber die äußere Freiheit erlangt er nicht. Sein sträfliches Tun wird entdeckt, er muß Amsterdam verlassen. Von Rembrandt erhält Elias ein Porträt - eigentlich eine Skizze zu einem größeren Gemälde - das ihn als Christus darstellt. Dieses Bild schenkt er in Polen dem Rabbi Kaminsky, und es bleibt bis 1939 in Familienbesitz.
Im dritten Roman wird Mario Conde von der Tochter der cubanischen Verwandten Kaminskys gebeten, ihre Freundin Judith zu suchen, die plötzlich verschwunden ist. Judith hat sich einer nihilistischen Gruppe namens Emos angeschlossen, die das sozialistische System Cubas mit seinen falschen Versprechungen und der Gier und Korruption seiner Träger ablehnen. Sie haben ihren eigenen Freiheitsbegriff gefunden und wollen mit Staat und Gesellschaft nichts mehr zu tun haben. Dieser Teil ist der Stärkste des Romans, El Conde in seinem gewohnten Umfeld.
Fazit: Leonardo Padura legt hier, zumindest dem Umfang nach, ein Opus Magnum vor, das um das zentrale Thema Freiheit und Selbstbestimmung kreist. Es ist seine bisher schärfste Kritik am politischen System Cubas. Er sieht sich mit Mario Conde und seinen Freunden als die verlorene, die betrogene Generation, der man im Tausch für ewigen Verzicht und Mangel eine leuchtende Zukunft versprochen hat - die nie Gegenwart wurde. Er geiselt den Zerfall der Gesellschaft in die Gewinner der Wirtschaftsreformen, die Korruptionisten und Devisenbesitzer, und in die Verlierer, die nie genug zum Leben haben werden und unten bleiben. Wenn ein Kellner in einem Touristenhotel in der Woche mehr verdienen kann als ein Universitätslehrer oder Arzt im Monat, dann stimmt etwas nicht mehr im System.
Padura zeigt Verständnis für diejenigen der jungen Generation, die sich aus dem System ausklinken und von den falschen Versprechungen und den Lügen ihrer Väter angewiedert sind. Wenn er Nietsches Ausspruch Gott ist tot vor dem übergroßen Bild Fidel Castros in der Wohnung eines Gewinners zitiert, stellt sich schon die Frage: Ist hier nicht alles tot, wofür Fidel und die Revolution stand?

Der Mangel an Glauben und Vertrauen in die kollektiven Projekte hatte das Bedürfnis entstehen lassen, eigene Pläne zu verfolgen. Und der einzige Weg, den diese Jugendlichen zur Erreichung ihrer Ziele sahen, war der, sämtlichen alten Ballast abzuwerfen und an nichts zu glauben als an sich selbst und die Verlockungen des eigenen, persönlichen, einzigartigen und vergänglichen Lebens: Gott ist tot — nicht nur der Gott im Himmel —, Ideologien kann man nicht essen, Verpflichtungen binden dich. [...] Die Katastrophen, deren Zeugen und Opfer diese Jugendlichen gewesen waren, hatten Individuen hervorgebracht, die entschlossen waren, sich jeder Verpflichtung zu entziehen und ihre eigenen Gemeinschaften zu gründen. Räume zu suchen, in denen sie sich selbst fanden, weit, sehr weit weg von Siegesrhetorik, Opfern, geplanten Neuanfängen (immer auf Siege gerichtet, immer Opfer fordernd), die verkündet wurden, ohne sie, die Generation der Zukunft, mit einzubeziehen.

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