Buchtipp : Leonardo PADURA, Der Mann, der Hunde liebte. (Rezension)

Leonardo PADURA, Der Mann, der Hunde liebte.

Cuba/Ramón Mercader/Roman/

 Leonardo PADURA: Der Mann, der Hunde liebte.
Leonardo PADURA: Der Mann, der Hunde liebte.
(El hombre que amaba a los perros., 2009)
730 S, ISBN: 978-3-293-00425-2
Zürich: Unionsverlag, 2011
Bewertung
Bewertung: 5 Sterne

Rezension

Kein einfaches Buch, das Leonardo Padura hier vorlegt: in drei Zeit- und Erzählebenen führt er an wesentliche Schauplätze der Weltgeschichte, verhandelt den Kommunismus, die kommunistische Revolution und das Scheitern einer großen Idee. Es geht um den Spanischen Bürgerkrieg, die Auseinandersetzung zwischen Stalin und Trotzki - die mit der Ermordung Trotzkis endet. Es geht aber auch um den Zerfall der kommunistischen Idee in verschiedene, einander bekämpfende Fraktionen: Bolschewisten, Trotzkisten, Stalinisten, Anarchisten, Syndikalisten... Und nicht zuletzt geht es um Ramón Mercader, den Mörder Trotzkis, und um das von den Versprechungen des Sozialismus erschöpfte Cuba.
Der Ich-Erzähler Iván trifft an einem Strand in der Nähe von Havanna zufällig einen geheimnisvollen Mann, der dort mit seinen zwei russischen Windhunden spazieren geht. Iván ist eine an sich selbst und dem System gescheiterte Existenz. Seinen Traum, Schriftsteller zu werden, zermalmt die cubanische Kulturbürokratie, als er eine vom erwarteten Erzählduktus abweichende, nicht heldenhafte, jedoch kritische Erzählung veröffentlichen will. Zur Bewährung wird er für zwei Jahre als Leiter des lokalen Radiosenders nach Baracoa verbannt. Seine sozialistische Begeisterung verliert sich in Alkohol und Sexabenteuern. Nach Havanna zurückgekehrt, nimmt er eine unbedeutende Stellung als Lektor an einem veterinärmedizinischen Institut an. In der großen Krise verliert er auch diesen Posten und schlägt sich als Hilfstierarzt in seinem Viertel durch. Schreiben wird er nur noch ein Mal: mehr als dreißig Jahre nach seiner Begegnung mit dem Mann am Strand, wird er dessen Geschichte aufzeichnen.
Der geheimnisvolle Mann am Strand, der die Hunde liebt, nennt sich Jaime Ramón López. Und er erzählt Iván eine unglaubliche Geschichte: das Leben von Ramón Mercader, dem Mörder Trotzkis. Ramón ist ein fanatischer spanischer Kommunist und kämpft im spanischen Bürgerkrieg. Als er gefragt wird, ob er bereit sei, einen für den Kommunismus und die Weltrevolution essentiellen Auftrag zu übernehmen, und dafür sein ganzes Leben hinter sich zu lassen, sagt er schlicht: Ja. Dieses Ja verändert sein Leben grundlegend. Er wird als Person ohne Geschichte Geschichte machen. In einer Ausbildungsstätte des NKWD wird er für seine Aufgabe ausgebildet, gedrillt, zu einem Menschen mit beliebig austauschbaren Eigenschaften und Merkmalen, zu einer Schattenfigur. Als "Soldat Nr. 13" schlüpft er in die Figur des Belgiers Jacques Mornard, einem gut situierten Bürgersohn, der sich durchs Leben treiben läßt, ohne Interesse an Politik. In Mexiko wird er nach jahrelanger Wartezeit seinen Auftrag schließlich erfüllen. Das ist die zweite Erzählebene.
Das Leben von Leo Trotzki (eig. Lew Dawidowitsch Bronstein) im Exil bildet die dritte Erzählebene. Nach Lenins Tod unterliegt er im Konflikt mit Stalin und wird gezwungen, mit seiner Frau die Sowjetunion zu verlassen. Es ist schwer, ein Exilland für ihn zu finden, und schließlich nimmt ihn die Türkei unter Attatürk auf. Einige Jahre lebt er auf der Prinzeninsel Büyükada. In der Hoffnung, in Frankreich näher am Kampf gegen den Faschismus zu sein, nimmt er ein Asylangebot der Regierung Daladiers an, erhält jedoch keine Erlaubnis, nach Paris zu reisen. Als schon bald sein Aufenthalt in Frankreich nicht mehr erwünscht war, erhielt er in Norwegen Asyl. Nach zwei Jahren gab die norwegische Regierung dem diplomatischen Druck Moskaus und der erstarkenden faschistischen Bewegung unter Vidkun Quisling nach. Trotzki mußte Norwegen verlassen und fand im Mexiko von Präsident Lázaro Cárdenas del Río Unterschlupf. In Coyoacán, einem Bezirk von Mexiko-Stadt, lebte er bis zu seiner Ermordung. In dieser Zeit prangerte er Stalins Schauprozesse und Säuberungen scharf an und versuchte, die IV. Internationale zu gründen. Die Unterschiede zwischen Stalinismus und Trotzkismus können im Buch natürlich nur gestreift werden.
Fazit: Leonardo PADURA gelang mit dieser Roman-Biografie zweier, in ihrer Bedeutung völlig unterschiedlicher Subjekte der Weltgeschichte, ein äußerst lehrreicher und interessanter Blick auf diese Zeit des Umbruchs. Und er lässt auch keinen Zweilfel daran, wie sehr er vom Scheitern der kommunistischen Idee und der Weltrevolution enttäuscht ist. Auch sein Cuba, sein Leben war auf der Vorstellung von Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit in einer sozialistischen Gesellschaft aufgebaut, an derer Bürokratisierung und Pervertierung es letztlich zerbrach. Weit über seine Krimis mit Mario Conde hinausgehend übt er Kritik am cubanischen Sozialismus, von dem nichts blieb außer einer erschöpften, ausgelaugten, mit allen Mitteln um ihr Überleben kämpfenden Gesellschaft. Vielleicht ist es ein Zeichen eines kleinen Wandels, daß das Buch nicht nur auch in Cuba erscheinen konnte, sondern er auch 2012 den cubanischen Nationalpreis für Literatur erhielt.

... er erinnerte sich auch an die Bekräftigung seines Entschlusses, wenn nötig, alleine weiterzukämpfen. Wenn sich die Revolution, für die er gekämpft hatte, in der Diktatur eines als Bolschewik verkleideten Zaren prostituierte, musste man sie mit Stumpf und Stiel ausrotten und von Neuem säen, denn die Welt brauchte wirkliche Revolutionen. Dieser Entschluss, das wusste er sehr wohl, brachte ihn dem Tod näher, der ihn von den Türmen des Kreml bedrohte. Doch der Tod war nichts anderes als ein unausweichliches Ereignis: Lew Dawidowitsch war immer der Ansicht gewesen, dass das Leben von einem, von zehn, hundert, ja, tausend Menschen vernichtet werden kann und sogar muss, wenn der gesellschaftliche Strudel es verlangt, um seine alles radikal verändernden Ziele zu erreichen; denn das persönliche Opfer ist häufig das Brennholz auf dem Scheiterhaufen der Revolution.

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