Buchtipp : Kristín Marja BALDURSDÓTTIR, Die Farben der Insel. (Rezension)

Kristín Marja BALDURSDÓTTIR, Die Farben der Insel.

Island/Roman/

 Kristín Marja BALDURSDÓTTIR: Die Farben der Insel.
Kristín Marja BALDURSDÓTTIR: Die Farben der Insel.
(Óreida á striga., 2007)
557 S, ISBN: 978-3-596-18222-0
Frankfurt: Fischer TB-Verlag, 2011
Bewertung
Bewertung: 5 Sterne

Rezension

Die Fortsetzung der Eismalerin.
Karitas hat sich in dem kleinen Ort Eyrarbakki als Zeichenlehrerin niedergelassen und verbringt den Großteil ihrer Zeit damit, zu malen. Kontakt zu ihrer Familie hat sie kaum. Dann organisiert ihr Bruder Ólafur eine Ausstellung ihrer Bilder in Reykjavík, die durchaus erfolgreich, aber doch nicht der künstlerische Durchbruch ist.
Sie beschließt, nach Paris zu gehen, muß aber Silfá, die Tochter Ihres Sohnes mitnehmen. Dieser hatte sich, von der Mutter des Kindes verlassen, wieder auf See begeben und das Kind einfach bei Karitas zurückgelassen. Ihrer Schwester Bjarghildur, die schon ihre Tochter aufgezogen hatte, will sie es nicht überlassen.
In Paris lernt sie die Malerin Elena aus Portugal kennen, die in der Wohnung unter ihr wohnt, und die beiden werden Freundinnen und haben eine gemeinsame Ausstellung mit einigem Erfolg. In Paris begegnet ihr auch Dengli wieder, der Junge, der ihr in Akureyri immer nachgelaufen war. Inzwischen war er ein bekannter Musiker geworden, und zwischen Karitas und ihm entsteht eine Liebesbeziehung, obwohl beide verheiratet sind. Hier fühlt sich Karitas zum ersten Mal von ihren Zwängen befreit.
"Er wählte etwas Ruhiges und Schönes..., und während er spielte und sich große Mühe gab, denn er spielte speziell für mich, da starb endlich das brave, gehorsame und wohlerzogene Mädchen, das in mir ausgeharrt hatte, seit ich mit fünfzehn Jahren aus den Westfjorden fortzog."
Gegen ihren Willen holt ihr Sohn nach ein paar Jahren Silfá zu sich zurück, und Karitas geht nach New York. Ihre Bilder finden dort viel Anklang, und als sie zum Begräbnis ihrer Mutter nach Island zurückkommt, ist sie international eine bekannte Künstlerin - was in Island allerdings nicht viel gilt. Sie wohnt gemeinsam mit ihrer Jugendfreundin Pía, Karlína und der Exgattin ihres Bruders Ólafur, Herma, im Haus ihres jüngeren Bruder Pétur. Schließlich zieht auch Silfá, inzwischen ein Teenager geworden, wieder ein.
Karitas wechselt mehrmals ihren Stil, ihre Werke finden im Ausland großen Anklang. Den wirklichen Druchbruch in Island schafft sie nicht. Ihren Mann Sigmar sieht sie selten und zufällig. Obwohl sie ihn immer noch liebt, kann sie ihm nicht verzeihen, daß er sie immer alleine gelassen hat.
Karitas wird fast hundert Jahre alt, malt noch immer, jetzt vorwiegend Landschaftsaquarelle. Sie wohnt jetzt bei ihrer Enkelin Silfá. Im Sommer vor ihrem Geburtstag möchte sie noch einmal die Bucht sehen, in der sie aufgewachsen ist. Und dort verschwindet sie im Meer.
Fazit: Es ist ein Buch über die Freiheit, das Kristín Marja Baldursdóttir hier vorlegt, der Kampf der Frauen um die Freiheit, die sich Männer einfach nehmen, weil sie glauben, daß sie ihnen gehört. Ich wäre schon längst berühmt, wenn ich ein Mann wäre, denn in einer patriachalischen Gesellschaft schaukeln sich die Männer gegenseitig hoch... Es gibt nur wenige Frauen, die versucht haben, meine Wege zu ebnen, und sie sehnten sich alle nach der Freiheit. Natürlich muß man im Hinterkopf behalten, daß der Schwerpunkt der Handlung in den 1930-1950er-Jahren liegt. Aber der Kampf um die Freiheit, um die Selbstbestimmung, ist weder ausgestanden noch gar gewonnen. Und wir sehen diese Welt nur durch Karitas Augen, eine Außenbetrachtung ergibt sich nur aus der Beschreibung ihrer Werke. Und auch Sigmars Denken, seine Vorstellungen werden nur indirekt vermittelt. Ein ungewöhnliches, faszinierendes Buch, das viel Raum zum Nachdenken gibt. Welche Freiheit wollte Karitas denn wirklich? Wenn sie die Chance hatte, frei zu werden, ließ sie sich doch immer wieder in das brave, gehorsame und wohlerzogene Mädchen zurückverwandeln.

Beim ersten Krieg war ich ein junges Mädchen in Akureyri, das die Wäsche der Kaufmannsfrau mit italienischem Waschpulver wusch, und in meiner freien Zeit zeichnete ich in der Haltung eines Cellisten Bilder für eine studierte Künstlerin. Während des Zweiten Weltkriegs lebte ich als einsame Zeichenlehrerin und Künstlerin in Eyrarbakki, als verheiratete Mutter, aber allein und kinderlos, und während das Dorf schlief, malte ich auf Bestellung Bühnenkulissen und schuf Werke, die den meisten Abscheu einflößten. Aber hatte ich dann nicht in Paris zu mir selbst gefunden, hatte ich nicht die Plackerei und die Zwänge in Island hinter mir gelassen, hatte ich nicht wunderschöne lyrische Abstraktionen gemalt, war es mir nicht gelungen, Anerkennung in Pariser Künstlerkreisen zu finden und bekannt zu werden - oder hatte ich mir selbst meinen Weg zur Berühmtheit verbaut, als er mir offenstand? Was war in Paris geschehen, was hatte ich verpfuscht? Vor meinem inneren Auge sah ich den Geigenkorpus zerbrechen, sah mich im Seifenwasser der Waschfrauen von Montmartre versinken; anschließend lange tiefe Finsternis. [...]
Ich hatte alle verpfuscht, indem ich mit einem Mann schlief. Jedes männliche Wesen hinterlässt eine lange Spur von Kindern und Pflichten.

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