Buchtipp : Thor VILHJÁLMSSON, Graumoos. (Rezension)

Thor VILHJÁLMSSON, Graumoos.

Island/Roman/

 Thor VILHJÁLMSSON: Graumoos.
Thor VILHJÁLMSSON: Graumoos.
(Grámosinn gloir., 1986)
301 S, ISBN: 3-548-24230-8
Berlin: Ullstein, 1998
Bewertung
Bewertung: 4 Sterne

Rezension

Ásmundur, der kommissarische Bezirksrichter, reitet zu einem Pfarrhof im Norden Islands, um Gericht zu halten. Eine junge Frau hatte mit ihrem Halbbruder eine inzestuöse Beziehung, das Kind haben sie nach der Geburt getötet. Ásmundur ist noch jung, es ist sein erster Fall, und er belastet ihn. Zum einen, weil er ihn an einen ähnlich gelagerten Fall erinnert, bei dem ein junger Mann seine Geliebte ertränkte, als sie schwanger wurde. Zum anderen ist er ein Sozialreformer, der Islands Bauern aus der Armut holen will, und er ist ein Dichter. In dieser Zwickmühle der widerstrebenden Sichtweisen und Einstellungen befindet er sich nun.
Sólveig, die junge Frau, ist selbst ein uneheliches Kind, ungeliebt, schon bald als Dienstmagd in einen Hof gegeben, dort vom Bauern andauernd vergewaltigt. Das Kind aus dieser Gewalt, unter Schmerzen geboren, hat sie nie annehmen können, es ist ihr fremd geblieben.
"... und die Schafe scharten sich in ihrem Pferch zusammen, nicht gewöhnt an dergleichen Begebenheiten. Sie war nackt vom Bauch bis zu den Knien; und blutig und allein; und ihr Weinen verstärkte noch die Unruhe bei den Schafen, die sich in der entlegensten Ecke des Stalles zusammendrängten. Der Wind draußen war heftig, vom Stockwerk über ihr, aus der Stube, hörte man keinen Laut."
Ihrem jüngeren Halbbruder, den sie zuvor nie gesehn hatte, begegnet sie auf einem anderen Hof. Vielleicht zum ersten Mal nimmt sie sich selbst war, erlebt Zuwendung, Liebe. Aber diese Beziehung darf nicht sein, sie ist ausweglos, es gibt kein Entkommen, keine Flucht. Und als sie schwanger wird, bleibt am Ende nur die Tötung, aber kein Ausweg.
Der Halbbruder, jünger, unerfahren, unsicher, ist vermutlich der Verführte, dem eigentlich nicht bewußt wurde, in was er sich da verwickelte. Seine Jugend verlief ähnlich, mit zehn mußte er sich bereits selbst erhalten. Und er trägt die Konsequenzen mit seiner Halbschwester, ohne irgendeinen anderen Weg zu sehen.
"... allein, klein und kalt; und er dachte, daß es allen egal wäre, wenn ihm nie wieder warm würde; daß er verflucht werde, wenn er sich von einem Felsen zu Tode stürzte, oder im Fluß ertrank, ohne die Schafe abgeliefert zu haben."
Diesen Fall von zwei verlorenen Leben muß der junge Richter entscheiden, aber die Strenge des Gesetzes hilft ihm hier nicht, sie läuft seinem Mitfühlen zuwider. Aber er bleibt auf sich allein gestellt.
Einsamkeit, oft Sprachlosigkeit, ist das zentrale Thema dieses Buches, das oft als Kriminalroman bezeichnet wird. Zunächst unter dem Titel "Das Graumoos glüht" erschienen, ist es nichts weniger als das. Innere Monologe, Beschreibungen von Wetter und Landschaft unterlaufen den Handlungsablauf. Es gibt einen Kriminalfall, er ist auch ein Thema, aber die Täter stehen von vornherein fest.
Fazit: kein einfach, aber mit Gewinn zu lesendes Buch über ein Island und seine Menschen. Zeitlich gar nicht so fern erscheint es aus einer längst vergangenen Welt zu stammen.

Sie trug es im Tuch zum Schuppen und legte es in die Truhe ihres Bruders, wo er das Gift für die Füchse verwahrte. Schloß sie ab und steckte den Schlüssel wieder in ihre Schürzentasche.
Legte sich auf ihre Bett in der Stube und zog die Decke über den Kopf, lag da mit offenen Augen, trocken.
Ganz und gar trocken, und starrte in den dunklen Himmel ihrer Bettdecke.

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